SONJA VOGEL LEUCHTEN DER MENSCHHEIT : Notizen aus dem Nanny-Loch
Ich schlief kürzlich in New York City im Basement eines Hauses in Midtown. Die Nanny wohnte früher dort. Auf zehn Quadratmetern. Es war ein Loch, das Nanny-Loch. Dort lebte eineinhalb Jahrzehnte lang das Kindermädchen, um die drei Kinder der Familie großzuziehen. Auch der Haus-Portier, der so zutraulich grüßt, als sei er Teil der Familie und nicht deren Angestellter, erinnert ans vorletzte Jahrhundert. Dabei ist es längst wieder üblich, intimste Liebes- und Pflegearbeiten von anderen gegen Bezahlung erledigen zu lassen.
Sich nicht den Bedürfnissen der Familie unterordnen zu müssen, ist eine Errungenschaft der Emanzipation. Dass die hierarchischen Netzwerke – von der Ehe bis zum Normarbeitsverhältnis – zerfallen, ist es auch. Unsere Beziehungen aber werden flüchtiger. Wer sie haben möchte, muss sie kaufen. „While market forces have eroded stability and fostered anxiety at work and at home, it is, ironically, mainly the market that now provides support and relief“, schreibt die Soziologin Arlie Russell Hochschild in „The Outsorced Self. Intimate Life in Market Times“ (Metropolitan Books, 2012). Dieser Markt ist grenzenlos: Liebes-Coaches, Hochzeitsplaner …
Die Errungenschaften des 20. Jahrhunderts – die Sprache der Therapie genauso wie das feministische Narrativ – haben Gefühle zum Kern der Austauschprozesse gemacht. Nichts ist schlecht daran, wenn Emotionen instrumenteller werden, artikuliert und ausgefochten werden müssen. Wäre da nicht das Dreieck der Diffamierung (race – class – gender), das wie ein Damoklesschwert über dem Erreichten hängt. Denn wer erledigt heute die Emotionsarbeit? Die polnische Altenpflegerin? Die indische Leihmutter?
Mehr denn je wird entlang der alten Diskriminierungslinien geordnet und ausgeschlossen. Das zeigt sich in NYC ganz besonders: Tanzen ohne Lizenz ist verboten, das Zentrum ist zum Wohnblock der Reichen degradiert; mit dem Verbot der Porno-Kinos am Times Square verschwanden auch die transsexuellen StricherInnen – genau wie die Nanny im Kellerloch blieb. Ganz nah dran, aber eben doch nie dabei.
■ Die Autorin ist ständige Mitarbeiterin der taz-Kulturredaktion