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Archiv-Artikel

SIEMENS: IST DER RUF ERST RUINIERT, MUSS DER VORSTANDSCHEF GEHEN Kungelei geht nicht mehr

Das gab es noch nie bei einem DAX-Unternehmen: In nur einer Woche hat Siemens den Vorsitzenden des Aufsichtsrats und den Vorstandschef verloren. Eine Firma mit weltweit rund 475.000 Angestellten ist führungslos. Dabei hat bisher niemand behauptet, dass Vorstandschef Klaus Kleinfeld persönlich in die Schmiergeldaffäre verwickelt gewesen wäre, bei der rund 420 Millionen Euro geflossen sein sollen. Auch die Siemens-Geschäftszahlen sind glänzend.

Kleinfeld muss gehen, weil das Image des Unternehmens ramponiert ist. Dies offenbart einen Wandel in der Welt der Großunternehmen: Da ihre Produkte zunehmend austauschbar sind, wird das Image zur eigentlichen Marke, die es zu schützen gilt. Damit werden die Unternehmen moralisch verletzlich. Unternehmensethik wird zum Wirtschaftsgut. Die Anfänge reichen in Deutschland zurück zur „Brent Spar“, als ein Kundenboykott Shell daran hinderte, diese Ölplattform einfach im Meer zu versenken. Inzwischen muss jedoch jedes Unternehmen zusehen, dass es nicht peinlich auffällt. Erst kürzlich tauschte die Autoindustrie ihren Verbandsvorsitzenden aus, weil er nicht glaubwürdig vermitteln konnte, dass die deutschen Autos so umweltfreundlich seien wie die japanischen.

Von diesem neuen Trend zur Imagepflege profitiert auch eine Gruppe, die sonst nicht zu den Siegern der gesellschaftlichen Entwicklung zählt: die Gewerkschaften und Betriebsräte. Kleinfeld musste nicht nur, aber auch zurücktreten, weil Siemens eine eigene Scheingewerkschaft alimentiert hatte. Die Deutschen sind nicht als Klassenkämpfer bekannt, aber sie wollen doch, dass es in der Auseinandersetzung zwischen den Klassen fair zugeht.

Kungelei geht nicht mehr. Ob mit Kunden oder gekauften Betriebsräten. Die Gesellschaft fordert klare Verantwortlichkeiten und transparente Konkurrenz. So gesehen hat die Wettbewerbsgesellschaft nun jene Schicht erreicht, die sich bisher durch persönliche Netzwerke abgesichert hat: die Manager. Der Siemens-Vorstand wird nicht der letzte bleiben, der diese Erfahrung macht.

ULRIKE HERRMANN