SIE HABEN DIE KNEIPE ZERLEGT : Der Plastikbaum
Wir waren erst in der Kleinen Markthalle Rostbratwürstchen essen, dann sahen wir im Festsaal Kreuzberg die Band Herrenmagazin, die ein tolles Konzert gab. Als es zu Ende war, saßen wir unentschlossen davor und teilten uns ein Bier.
„Café, Kneipe oder üble Kneipe, worauf hast du Lust?“, fragte ich. „Üble“, sagte sie und lächelte sehr schön. Wir liefen vom Kottbusser Tor die Graefestraße hinunter, vorbei an zwei, drei Orten, vor denen Menschen saßen, die vielleicht noch nie in Spandau oder Lichtenberg waren.
Als ich an einem Tag, der schon der nächste war, in diese Kneipe ging, weil ich auch wusste, dass dort ein Boxkampf gezeigt würde, setzte ich mich an den Tresen, bestellte was und sah auf den Fernseher. Einer der zwei Blaumannträger, die weiter vorne saßen, ging dann zur Toilette. Wenig später hörten wir ein Geräusch, als wäre der Mann hingefallen. Da sich der andere Typ nicht rührte, sah ich weiter auf den Fernseher. Nach vielleicht drei Minuten sagte der andere zu der Barfrau: „Micha is uffe Fresse!“ Die Barfrau sagte: „Kiek ma nach!“ Der Mann stand langsam auf und ging nach hinten. Dann waren wir vor der Kneipe und ich sagte: „Okay, übel, übel!“ und öffnete die Tür. Die Kneipe war überfüllt, der riesige Plastikbaum, der in der Mitte des Raums stand und alles mit seinem dichten Plastiklaub zu beschützen schien, war verschwunden. Studenten, Hipster, mehrere Schriftsteller, die wir kannten und begrüßten, einen Lektor, einen Agenten, einen Journalisten, herrje, sie waren alle angekommen und hatten diese schöne versiffte Kneipe zerlegt. Aber wo, verdammt, wo waren die Säufer hin? Ich sondierte den Raum. Da war noch einer. Er saß am Tresen und schaute sich mit aufgeschwollenem Gesicht verwundert um. Ich stellte mich neben ihn und fragte „Was is’n hier passiert?“ Er sah mich lange aus glasigen Augen an und sagte: „Weeß ick ooch nich.“ BJÖRN KUHLIGK