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Archiv-Artikel

SHEILA MYSOREKAR POLITIK VON UNTEN Hassverbrechen aus Zufall

Der Iraker tot, die Täter mit Hakenkreuzen tätowiert. Rassismus? Nö, sagt der Leipziger Staatsanwalt

Nehmen wir mal an, da ist ein vorbestrafter linksradikaler Punk. So einer, der zur Gewalt gegen den Staat aufruft und mit Vorliebe Steine auf Polizisten wirft. Nun überfällt dieser Typ einen CDU-Politiker und sticht ihn nieder. Da kommt man doch auf die nahe liegende Idee – gerade als Staatsanwalt –, dass diese Tat mit der politischen Haltung des Täters zu tun hat. Auch wenn der Punk in just diesem Moment nicht „Nieder mit dem Schweinesystem!“ gebrüllt hat.

In Sachsen ist das anders. Hier muss ein Täter seine Gesinnung im Augenblick des Mordes verbal äußern, laut hörbar für Zeugen, sonst ist das politische Umfeld des Täters für die Strafverfolgung irrelevant. Vor allem, wenn er ein Nazi ist.

In Leipzig hat der Prozess gegen zwei Neonazis begonnen, die letztes Jahr den 19-jährigen irakischstämmigen Sachsen Kamal Kilade ermordet haben. Die beiden vorbestraften Täter sind mit SS-Runen und Hakenkreuzen tätowiert und Mitglieder von Nazi-Kameradschaften, also Organisationen, die nicht gerade für ihre multikulturelle Toleranz bekannt sind. Doch dass die beiden einen jungen Iraker getötet haben, hat für den Staatsanwalt nichts mit ihrer Gesinnung zu tun. Die Staatsanwaltschaft Leipzig sieht keine „Belege für eine ausländerfeindliche Tatmotivation“, da Zeugen keine rassistischen Äußerungen hörten. Wohl weil die Täter während des Mordes nicht „Ausländer raus!“ riefen. Hakenkreuz-Tätowierungen sind offenbar nicht Beweis genug für eine rassistische Einstellung. Oder vielleicht konnte der Staatsanwalt einfach die SS-Runen auf den Oberarmen der Täter nicht entziffern.

Die beiden Neonazis kannten Kamal Kilade nicht, er war eine nächtliche Zufallsbegegnung vor dem Leipziger Hauptbahnhof. Kilade ist wohl kaum erstochen worden, weil den Nazis seine Jacke nicht gefiel, sondern wegen seiner Hautfarbe.

Doch die Anklage lautet nicht „Mord aus rassistischen Motiven“. Welches andere Motiv Neonazis wohl antreibt, ihnen unbekannte Ausländer scheinbar grundlos zu ermorden? Vielleicht, dass man das in Leipzig so macht, wenn man Samstagabend Langeweile hat? Eher unwahrscheinlich. Warum also werden rassistisch motivierte Morde hierzulande als unpolitische und unzusammenhängende Einzelverbrechen gewertet? In den letzten 21 Jahren hat es in Deutschland 156 Mordopfer rechter Gewalt gegeben. Wenn ein Mord ein rassistisch motiviertes Verbrechen ist, dann gibt es einen politischen Kontext, und gegen diesen Kontext kann man etwas unternehmen. Wenn die Justiz diesen Kontext aber bagatellisiert, sogar ignoriert, fühlen sich Neonazis gestärkt.

In anderen Ländern nennt man antisemitisch, rassistisch oder schwulenfeindlich motivierte Delikte Hate Crimes – Verbrechen aus Hass. Weil der Täter das Opfer nach einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe auswählt, der es angehört – und sich das Verbrechen gegen die gewählte Gruppe als Ganzes richtet. Zum Beispiel gegen Moslems oder Schwarze. Hassdelikte werden härter geahndet, die Polizei wird speziell geschult, um diese Form der Kriminalität zu erkennen. In den USA und Großbritannien sind Hassverbrechen ein eigenständiger Straftatbestand. In Deutschland nicht. Hier kann ein Neonazi mit Hakenkreuzen tätowiert sein, einen Ausländer töten, und es ist reiner Zufall.

Die Autorin ist Journalistin und in der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland Foto: F. Bagdu