SCHRÖDER IN CHINA: ZU VIEL GEREDE UM STILLE DIPLOMATIE : Menschenrechte kosten Geld
Frank Lu, der einsame, stets kränkelnde Menschenrechtsaktivist aus Hongkong, ist eine der wichtigsten Stimmen der chinesischen Opposition. Seit Jahren informiert sein winziges „Informationszentrum für Demokratie und Menschenrechte“ zuverlässig über den Widerstand in der Volksrepublik, auch über die Internet-Aktivistin Liu Di, die ein Jahr lang ohne Anklage inhaftiert war. Lu hat wesentlich zu ihrer Freilassung am Wochenende beigetragen – der Fall hätte ansonsten den China-Besuch Bundeskanzler Schröders überschattet.
Dabei kann Schröder den zahlreichen Aufrufen zum stärkeren Einsatz für die Menschenrechte in der Volksrepublik, die ihn auf seiner fünften China-Reise in ebenso vielen Jahren begleiten, selbstbewusst begegnen. Seine Formel, westliche Menschenrechtsforderungen in Peking nicht lauthals zu verkünden und stattdessen ein von beiden Regierungen geförderten Rechtsdialog zu propagieren, bleibt im Kern richtig. Dafür bürgt die chinesische Entwicklung der letzten Jahre. Denn die chinesischen Rechtsreformen der Neunzigerjahre tragen erste Früchte, insbesondere das damals neu geschaffene Recht des Angeklagten auf Verteidigung und die prinzipielle Unschuldsvermutung gegenüber dem Angeklagten. Immer wieder gibt es heute ermutigende, von den Medien landesweit publizierte Gerichtsurteile, die sich für die Rechte des Einzelnen stark machen und in seltenen Fällen auch Parteiinteressen trotzen. Kein Zweifel besteht auch daran, dass in China ein neuer, unabhängiger Berufsstand der Rechtsanwälte heranwächst, deren Vertreter sich nicht mehr als Parteianwälte verstehen. Dafür zeugt auch eine zunehmend kontroverse Diskussion über die seit Jahren ausufernde Anwendung der Todesstrafe im Land.
Die Bundesregierung täte also gut daran, wenn sie diese Entwicklung unterstützt. Doch ist Schröders Rechtsdialog nicht bar von Heuchelei: Stolz ist von einer Verdoppelung der deutschen Investitionen in China auf 14 Milliarden Euro die Rede, während der Rechtsdialog auch in den kommenden Jahren sträflich unterfinanziert bleibt. Schröder tut in China viel für die Wirtschaft, soll er ruhig, aber nicht genug für die Menschen. So wird Frank Lu die Arbeit nicht ausgehen. GEORG BLUME