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Archiv-Artikel

SCHRÖDER FÄHRT NICHT NACH ITALIEN IN URLAUB: DAS IST FALSCH Das Private ist ein Politikum

Einst war bei uns die Parole „Alles Private ist politisch“ en vogue, mit deren Hilfe vor allem das Leiden an und in Familien- und Partnerschaftsbeziehungen der öffentlichen Auseinandersetzung zugänglich wurde. Kanzler Schröder hat mit dem dicken Strich durch seine italienischen Urlaubspläne an die damalige Kampfansage angeknüpft, hat sie aber irgendwie missverstanden. Er hat seine Privatsache, nämlich an welchem Strand er sich vergnügen will, in ein Politikum verwandelt. Damit hat er die plumpen Sticheleien des italienischen Touristik-Staatssekretärs gegen deutsche Italienurlauber zu einem Problem der Staatsbeziehungen zwischen Italien und Deutschland verdreht.

Konrad Adenauer ließ in Cadenabbia die Kugeln rollen und zwar gänzlich unbeeindruckt von den Urteilen, die seinerzeit nicht nur seitens der italienischen Medien, sondern auch von italienischen Politikern über die erste deutsche Urlaubswelle abgegeben wurden. Diese Urteile waren oft reichlich harsch. Wieso nur steigt der heutige Bundeskanzler auf die Tiraden eines öden italienischen Provinzpolitikers ein? Nich mal injorieren! lautet eine die Sachlage treffende Berliner Redewendung. Natürlich haben eine Reihe beliebter Vorstellungen über die Deutschen den Zeiten getrotzt, aber welche Realität spiegeln sie heute wider, wie viel taugen sie tatsächlich als Stereotype? Sind es tatsächlich gleichförmige, blonde, fette, lärmende, biersaufende, vor Selbstbewusstsein strotzende deutsche Wilde, die jedes Jahr die Adriastrände überfallen? Die Beziehungen der Teutonen zu ihrem Sehnsuchtsland sind so wunderbar verknotet und so unübersichtlich, dass sie sich keinem Stereotyp mehr fügen, auch nicht während der Badesaison.

Im Gegensatz zu Schröder hat der von Berlusconi verunglimpfte Europaabgeordnete Schultz die erste Gelegenheit beim Schopf ergriffen und wird als Gast bei Sommerfest der „Unita“ auftreten. Das ist die Alternative. Statt übelnehmend auf dem hannoverschen Sofa zu sitzen, statt nationale Abgrenzung zu praktizieren, hinein ins Getümmel und – des Urlaubs ungeachtet – die demokratische italienische Opposition stärken. Schließlich sind wir auf dem Weg zum europäischen Bundesstaat!

CHRISTIAN SEMLER