SCHRÄGES BERLIN: Nichts für die Ewigkeit
Seit einigen Tagen hängt ein meiner Straße ein Schild: „Ab hier Leben verboten“. Sehr wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine Aktion der Gentrifizierungsgegner.
D as Holozän ist am Ende. Die Natur ist vorbei. Es lebe das Anthropozän. Bereits vor einigen Jahren haben Geologen ein neues Zeitalter der Erdgeschichte ausgerufen: Im Sedimentgestein der Erdkruste hätten die Menschen ihre Fingernägel und Fußabdrücke mittlerweile so tief eingegraben, dass ihre Spuren noch für Außerirdische, die in fünf Millionen Jahren den Planeten Erde erforschen, eindeutig erkennbar sein würden.
Seit vergangenem Wochenende ist auch Berlin im Anthropozän angekommen. In einer Mischung aus Suppenküche, Klimakonferenz und interdisziplinärer Begegnung diskutierten im Haus der Kulturen der Welt (HKW) jede Menge Kultur- und Naturwissenschaftler und andere Metabolisten über die Konsequenzen aus diesem geologischen Befund: Wie müssen wir denken? Und was müssen wir tun, wenn es tatsächlich so ist, dass der Mensch jetzt alles in der Hand hat, wie der angekündigte, aber nicht gekommene Urbanist Rem Koolhaas proklamiert?
Tendenziell löst diese Geo-These unter Wissenschaftlern Besorgnis aus: Denn ausgerechnet in jener Erdepoche, die nach dem Menschen benannt ist, würden nicht nur die Natur, sondern auch die sozialen Beziehungen durch zunehmende Technisierung und Medialisierung des Lebens zur Brache verkommen.
schreibt regelmäßig in der Berlin-Ausgabe der taz über ihren Kreuzberger Kiez und ist Redakteurin bei taz.de.
Dass die sozialen Beziehungen, sprich: das gute Leben in Berlin demnächst so brachliegen könnte wie die Grundstücke in der Cuvry- Ecke Schlesische Straße oder der Bau des Flughafens Berlin Brandenburg, wird bekanntlich abseits wissenschaftlicher Debatten durch die Gentrifizierungsgegner prognostiziert. Nehmen wir zur Abwechslung mal wieder meinen Kreuzberger Trendkiez und meine Straße als Beispiel. Es ist eine Straße, in der mindestens einmal im Monat eine ganze Reihe Autos abgeschleppt und Nachtruhe und Flaniermöglichkeiten durch Scheinwerfer, Megafon, Kabel und Absperrgitter erheblich eingeschränkt werden. Einmal im Monat findet sich irgendein Filmteam, das irgendeine Berlin-Soap dreht und über Nacht zwei unauffällige Schilder am Anfang und Ende der Straße platziert, auf denen steht: „Ab hier Parken verboten“.
Seit einigen Tagen hängt an ebendieser Stelle ein anderes Schild: „Ab hier Leben verboten“.
Sehr wahrscheinlich handelt es sich hierbei um eine Aktion der Gentrifizierungsgegner, die von einem Lebensbegriff ausgeht, den die Wissenschaftler im HKW der Philosophie „kosmischer Flutungen“ eines Oswald Spengler („Der Untergang des Abendlandes“) zuweisen könnten. Und sehr wahrscheinlich bezieht sie sich auf ebendiese Filmteams, die den Gentrifizierungsgegnern ein Dorn im Auge sind, weil sie unseren schönen Kiez zur Filmkulisse verkommen lassen und die Bewohner in eine Statistenrolle drängen, wo diese doch lieber die Hauptdarsteller wären.
Ich kann nicht anders, aber solange das Setting dieser Möchtegernhauptdarsteller lediglich in am Straßenrand angebautem Blumenkohl und auf brachliegenden Fabrikgeländen aufgestellten Bienenstöcken besteht, bin ich zwar gern in ihren Gärten; ich zweifle aber trotzdem an ihrem Konzept des Bürgersteiggärtnerns als Widerstand – und bleibe weiter Statist der Gentrifizierung. Denn ich finde es gut, dass die Außerirdischen in fünf Millionen Jahren die von der Nasa ins All geschickte „Voyager Golden Record“ finden, auf der sie Muddy Waters und Johann Sebastian Bach entdecken. Und nicht Rezepte für autark produzierten Blumenkohl vom Kottbusser Tor.
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