SCHÖNHEIT : Deine müden Augen
Ich habe eine Creme gegen Augenringe gekauft, für zehn Euro. Zu Hause bereute ich es, denn eigentlich finde ich Augenringe verdammt sexy. Augenringe sagen, hey, ich hab ein wildes Leben und ich schminke mich nicht. Beides ist total heiß, oder?
Aber wild und heiß zu sein ist nur die eine Seite der Medaille, na ja, und die andere Seite ist immer irgendwas anderes. Es kotzt mich schrecklich an, dass alle Leute nie Zeit haben und so gehetzt sind und über zu viel Arbeit und zu lange To-do-Listen klagen und dass ihr iPhone-Akku leer ist. Die wissen auch gar nicht mehr, wie Kaffee schmeckt, weil sie selbst schon zu zwei Dritteln aus Kaffee bestehen, aber „to go“, weil das besser passt zu „to do“. Und diese Leute schlafen dann zu wenig und für die gibt es diese Cremes, mit Koffein übrigens, damit sie immer fresh aussehen und noch mehr geile Jobs kriegen und wichtige Menschen kennenlernen, die auch solche Cremes benutzen und es nie zugeben würden, oder gerade doch, ich weiß nicht.
Scheiße, dachte ich, ich will nicht jemand sein, der es cool findet, zu wenig zu schlafen. Ich will aber auch nicht aussehen wie jemand, der zu wenig schläft. Ich will aussehen wie jemand, dem dieser ganze Stresshype egal ist und der nicht heimlich alle Burn-out-Artikel auf Spiegel Online liest. Diese Cremes werden nicht für Leute gemacht, die was Gutes arbeiten, liebenswerte Freunde haben und manchmal halt so viel feiern oder ficken oder lesen, dass sie dann Augenringe kriegen. Ich benutzte die Creme also nur genau einmal und am nächsten Morgen nicht mehr. Entspannt und gut gelaunt kam ich zur Arbeit, im Fahrstuhl schaute ich noch mal in den Spiegel und dachte: Alles cool. Im Büro stand meine Kollegin und sagte: „Guck mal, ich war beim Friseur, was sagst du? Und eigentlich könntest du da auch mal hingehen, deine Haare sind verfilzt. Das sieht ungepflegt aus.“ MARGARETE STOKOWSKI