■ SCHÖNER - LEBEN: Altbuchdeponie
Was haben Lucien Seve's „Marxismus und Persönlichkeit“, die 14.Auflage einer Bismarck-Biografie von 1928 und der 400-seitige Liebesroman „Rosalie“ von E. S. Wyngold (1958) gemein? Ich habe es bei keinem Umzug geschafft, sie wegzuschmeißen. Der Kulturmensch hat zum Buch eine spezielle Beziehung, und eher ißt ein Germane Pferdefleisch, als daß man im Land der Bücherverbrennungen Bücher vernichtet.
Ins Bremer Vacuum nach Ablauf der „Literarischen Woche“ werfe ich meine Frage: Wohin kommen die ca. 70.000 Titel und hunderte von Millionen Bücher, die allein BRD-weit alljährlich auf den Markt geworfen werden? Wo sind die Reservoirs, die diese Hekatomben bedruckten Papiers aufnehmen können? Wohnhäuser könnten das nicht schaffen, auch wenn die ganze Welt ein Schwachhausen wäre. Es muß einen gigantische Büchervernichtungs-Maschine geben, die in der Stille und effektiv arbeitet. Eine Geheimabteilung Töpfers etwa?
Wovon wir aber tagtäglich erfahren, sind gegenläufige Bestrebungen. Verzweifelte Schulleitungen, die Teile der Schulbibliothek auf einem Bauschutt-Container deponieren, damit Lehrer samt aufgebrachten Schulklassen die bedrohten Bücher retten. Lösungsversuche im Privatbereich, wo in neutraler Verpackung alle zerfledderten Karl May auf den Sperrmüll gegeben werden, nur um streunenden Bibliophilen in die Hände zu fallen. Einzige Lücke: die Uni-Bibliothek. Erben geben an der Pforte ganze Bibliotheken ab — die qualifizierte Heizungsluft an der Uni beruht auf Fernwärme aus Büchern... Doch was ist die Uni gegen die Wissenschaft, die jetzt selbst die letzte Hoffnung auf eine naturbelassene Lösung zunichte macht: In Bückeburg wurde ein Verfahren vorgestellt, wie mit Entsäuern und Nachleimen Papier für hunderte von Jahren konserviert wird.
Wahrlich ich sage Euch, es kommt der Tag, da die Bücher aufstehen und zur Macht greifen werden. Übrigens wird das kein schlechter Tag sein. Burkhard Straßmann
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