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Archiv-Artikel

SCHLECHTE LAUNE Heulen als Kraftsport

Neben meinem Laptop ein Berg von zerknüllten Taschentüchern

Nachdem ich drei Tage am Stück ausschließlich damit verbracht habe, zu schlafen, zu essen, zu weinen und im Internet Katzenfotos anzugucken, fällt mir auf, dass es mir nicht gut geht. Den einzigen Menschen, den ich getroffen habe, war die Postbotin, die ein bestelltes Buch brachte, und dann war da noch die Spinne, die neben meinem Bett ein Netz gebaut hatte und die ich aus dem Fenster raussetzte. Und die war noch nicht mal … – egal. Nicht drüber nachdenken.

„Alles okay bei dir?“, fragt L. im Facebook-Chat. Ich heule sofort los. „Geht so“, schreibe ich zurück. „Klingt nicht gut“, schreibt sie. L. kennt mich. „Schlimm?“, fragt sie. Und dann erzähle ich, wie scheiße alles ist und immer schon war und sein wird und dass ich glaube, meine Gasrechnung wird zu hoch und ich kann sie wieder nicht bezahlen. „Guck Serien, bis es dir wieder besser geht“, sagt L. „Ich hasse Serien.“ So richtig gut kennt L. mich doch nicht. „Dann lies Harry Potter.“ „Ich hasse Harry Potter.“ Stimmt wirklich, und ist ja wohl auch echt vertretbar. „Das ist ja furchtbar“, sagt L., „da würde ich auch heulen.“ Siehst du, sage ich. „Nur Piggeldy und Frederick find ich okay.“ Neben meinem Laptop liegt ein Berg von zerknüllten Taschentüchern. „Aber weißt du was“, sagt L. „Heulen entspricht vom Kraftaufwand her der Anstrengung eines Intellektuellenumzugs mit lauter Büchern und alten Möbeln und nur Schwächlingen – die die Bücher lesen, statt sie zu tragen.“ Ich liebe L. „Also“, schreibt sie, „also hast du mit einer Stunde heulen echt schon mehr als genug geleistet für einen Tag. Wenn’s mehr war, sogar für mehrere Tage.“ Oh. Ich denke, ich weiß, was sie meint. Und sie versteht mich. „Danke“, schreibe ich. „Und dreimal umgezogen ist wie einmal abgebrannt“, sage ich. „Stimmt“, sagt L., „weiß man.“

Bin stolz, nehme mir den Rest der Woche überstundenfrei und gehe schlafen. MARGARETE STOKOWSKI