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SCHEIBENGERICHT: NEUE PLATTEN, KURZ BESPROCHEN

VON MARTIN PESCH

Lamé Gold

Lamé Gold (Payola/Efa)

Vor einigen Jahren machte eine Coverversion von Elvis Presleys „Heartbreak Hotel“ Furore, erschienen auf einer grün eingepackten 10-Inch-Scheibe eines heute längst vergessenen Labels. Der Interpret benutzte den Namen jenes Kleidungsstücks als Pseudonym, das der King gerne trug und das ungefähr zur selben Zeit das damals aktuelle Blumfeld-Album schmückte. Wo die Verweise derart über drei Bande gespielt werden, da ist Albrecht Kunze zu Hause – egal, ob er ein Hörspiel oder ein Technoalbum produziert.

Jetzt hat er sein lange brachliegendes Projekt wieder belebt und gleich eine ganze Langspielplatte vorgelegt. Wer die Popgeschichte gerne in nuce vorgeführt bekommt und dabei von Kunze bislang bestens bedient wurde, betritt mit Lamé Gold ein weites, leeres Feld. Denn aus den hakeligen Rhythmen und den feinsinnig eingesetzten String-Samples, also den zwei Hauptelementen dieses Albums, lässt sich so gar nichts herauslesen, das Material zur beflissenen Exegese böte. Die Zeichen, die offensichtlich fremder Herkunft sind, flottieren frei und sind bar jeder, sonst von Kunze auch gerne im Titel versteckten Information. Mit dieser Art von Verweigerung macht der Frankfurter Produzent auch deutlich, wie unrecht man jemandem tut, wenn man seine Musik auf den Diskurs reduziert, der ihr immanent ist. Man muss lange bohren – das heißt zuhören –, um ihn in den Tracks dieses Albums zu finden.

Was Wa Wa

„Unsere eigene Geschwindigkeit“ (WSFA/Indigo)

So schön unterm E-Bow zitternde Gitarrensaiten waren seit Genesis’ „Selling England by the pound“ nicht mehr zu hören. Aber wir wollen nicht übertreiben. Denn Was Wa Wa, eine vierköpfige Band aus dem bundesdeutschen Ruhrgebiet, tendieren selbst schon genug zur Übertreibung, gelegentlich.

Es stören aphoristische Übungen wie „Geflügelte Worte sind oft in Wirklichkeit wenig beweglich“, an deren Syntax schön der Wille zum Komplizierten abzulesen ist. Die Kompositionen stehen den Texten in nichts nach, nur fällt die Prätention bei den Worten stärker ins Gewicht als bei den Noten. Letztere lassen sich in den Kosmos zwischen King Crimson und den späten Talk Talk einordnen, während es für die verklügelten Texte von Frank Wickner weniger reizvolle Anknüpfungspunkte gibt – sieht man mal von Gesundes Volksempfinden ab, einer anderen, lange vergessenen Ruhrgebietsband. Den Drang, sich mit Worten auszudrücken und die begleitende Musik so deutlich zum Spiegel der Inhalte zu machen, hat es hier zu Lande lange, lange nicht mehr gegeben. Vielleicht muss man sich auch nur wieder dran gewöhnen.

Koji Asano

„The last shade of evening falls 4/4“ (Solstice/Import)

Diese Stunde Musik ist die letzte Folge einer vierteiligen Serie und insgesamt das neunzehnte (!) Album des Japaners. Wer also den Überblick über Asanos Schaffen verloren hat, ist entschuldigt – insbesondere, weil die Platten auch nur einen Bruchteil des Schaffens eines überall in der Welt live spielenden Musikers wiedergeben.

„The last shade of evening falls“ wurde in voller Länge an einem Sommerwochenende im Jahr 2000 in Barcelona live eingespielt und beruht auf einer Komposition für Violine und Kontrabass. Beide Instrumente benutzt Asano als Klangquellen für die digitale Bearbeitung. Wobei die Manipulation nicht wie ein Eingriff wirkt, sondern wie ein verstärktes Zuhören. Er benutzt die elektronischen Mittel eher wie eine Soundlupe, um so dicht wie möglich an das Ausgangsmaterial heranzukommen, es in all seiner mikrotonalen Schönheit widerzuspiegeln.

Mag man bei der Kombination von Violine und Kontrabass an die Drones denken, die Tony Conrad und John Cale Mitte der Sechziger aus den Verstärkern holten, doch orientiert sich Asano eher an Giacinto Scelsi und seinen Kompositionen der Fünfzigerjahre. Erst flimmert der Ton, dann verschwindet er, und das Flimmern bleibt.

Ida

„Will you find me“ (Tiger Style/Import)

Seit Jahren geht einem bei jedem neuen Album der New Yorker Band Ida das Herz auf. Es bekommen in der Alten Welt leider nur zu wenige Menschen die Gelegenheit, das zu spüren. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen hat sich diesseits des Atlantiks noch kein Vertrieb, Label oder PR-Büro um diese Band bemüht. So wird auch jetzt nur eine kleine Schar darin übereinkommen, dass mit „Will you find me“ ein Höhepunkt an Könnerschaft und Reife erreicht ist.

Beim Vorgängeralbum „Ten little pieces“ konnte man noch das aus dem Gleichgewicht geratene Gefüge spüren, das durch die Integration von Karla Schickele verursacht wurde, die aus dem bisherigen Trio ein Quartett machte. Ihr Einfluss brach den Hang zu purer Schönheit etwas auf, dem Elizabeth Mitchell und die Brüder Daniel und Michael Littleton frönen. Am deutlichsten drückt sich der in den Duetten von Mitchell und Daniel Littleton aus. Das sind Gesangspartien, spannungsgeladen, fragil, dann wieder sonor und kraftvoll, in jedem Fall ohne Beispiel in der zeitgenössischen Popmusik. Die Lieder fließen der Band schon mit der Patina klassischen Songwritings aus der Feder und manifestieren den Eindruck, es kreise mit Ida ein Planet durch den Orbit, zeitlos, schwerelos, unbeeindruckt und selbstsicher.

L`Altra

„Music of a sinking occasion“ (Aesthetics/Import)

Um L’Altra wäre es schlecht bestellt, käme die Band nicht aus Chicago. Von vornherein steht sie so im Licht einer Öffentlichkeit, die sich mit unverminderter Aufmerksamkeit seit Jahren der Musikszene dieser Stadt widmet. So beeindruckt das Info zu ihrem Debütalbum auch mit einem umfangreichen Konvolut voller Berichte und Reviews aus aller Welt. Die Lorbeeren sollten niemanden skeptisch machen – die vierköpfige Kombo hat sie verdient. Ihre Slow-Motion-Songs glänzen durch einen matt gehaltenen Gesamtsound hindurch. Auch bei ihnen sticht der Duettgesang von Lindsay Anderson und Joseph Costa hervor. Allerdings ist er nicht wie bei Ida das Sahnehäubchen zum ohnehin perfekten Lied, sondern erzeugt mehr ein Flirren über einer unsicher scheinenden Oberfläche.

Wer nach L’Altra ein altes Album aus der Canterbury-School auflegt, dürfte die richtige Traditionslinie angegraben haben. Wobei – Folk will das hier nicht sein. Als ob sie dieses Statement betonen möchten, beginnt die Band die zweite Seite des weißen Vinyls mit einem schwachbrüstigem Drillbeat-Track, der klingt, als sei er über Kurzwelle einmal um die Welt gewandert.

Liam Gillick

„Liam Gillick meets Scott Olson in Japan“ (Whatness/A-Musik)

Liam Gillick, Vertreter des New Conceptualism, fasst auf dieser CD zusammen, was bei Ausstellungen von ihm während der letzten drei Jahre zu hören war. Wenn ich, der einige davon besucht hat, ehrlich bin, ist die Musik mir nie aufgefallen – mit Ausnahme des Soundtracks, den er zu Sarah Morris’ Film „AM/PM“ beigesteuert hat. Wahrscheinlich weil die Musik selbst, und das wird jetzt bewusst, auch wenig Interesse verdient.

Gillicks Herangehensweise spiegelt jenen Klischee gewordenen Zugriff des Künstlers wider, der sich auf der Höhe seiner Zeit wähnt. Beim Zugriff auf Stile und Mittel der jeweils zeitgenössischen Popmusik wird dann schnell das Hinterherhinken sichtbar – also das Gegenteil von dem, was intendiert war.

Es gibt wenige Beispiele in den letzten Jahrzehnten, bei denen die Musik von Künstlern als Beitrag zum popmusikalischen Kontext von Wirkung war. So können auch Gillicks verschnittene Dope-Beats niemanden erfreuen, der auch nur am Rande in den letzten Jahren die Entwicklung zwischen, sagen wir mal, „Electric Ladyland“ und Depth Charge miterlebt hat. Beim Wechsel der Kontexte bleibt immer was auf der Strecke, oft das Wesentliche. Das Label Whatness hat sich den Kontextwechsel zum Programm gemacht: Demnächst sind hier deutsche Arbeiterlieder zu hören, interpretiert vom Most-Glamourous-Man of Frankfurt, dem Tanz-Star Stephen Galloway.

Heimelectro Ulm

„Populär Serie“ (Heimelektro Ulm/Hausmusik)

Im Süden Deutschlands wird jetzt auch schon eine Weile gearbeitet. Heimelektro Ulm ist in der aktuellen Electronica-Szene ungefähr das, was Él vor fünfzehn Jahren für die Whimp-Popszene war.

Der Vergleich ist nicht beliebig gewählt. Denn die Menschen, die hier ihre Musik veröffentlichen, scheinen dieser Tradition des artifiziellen, nennen wir es so, Songs zu huldigen. Deutlich spürt man dies auf dieser Doppel-CD bei Jetztmanns „Blue Cheerleader“ und „Out of motion into devotion“ von Sodaclub. Aber auch bei den rein elektronischen Instrumentals schimmert das Verlangen durch, die abstrakten Sounds und vertrackten Beats vor einem weiteren Horizont zu platzieren, die Fenster des Studios zu öffnen, die Programmfenster zu schließen und das Herz fliegen zu lassen.

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