SAHNE-ERDBEER GIBT AUF : Schnell einkaufen
Reinickendorf, Alt-Wittenau, ein Supermarkt. Ich brauche Nudeln und ein bisschen Sahne. Es ist 13 Uhr, jene Zeit, zu der Reinickendorf keine Einwohner hat, jene Zeit, in der es hier kaum lebhafter zugeht als auf einer Geriatrie nach dreitägigem Stromausfall. Eine Kasse ist offen, wie immer die drei, und wie immer steht genau eine Person davor. Sie ist alt, alt genug jedenfalls, dass man nicht mehr genau weiß, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, es könnte Hellmuth Karasek sein.
Man könnte meinen, Personen dieses Alters seien in Eile, schließlich haben sie nicht mehr ewig Zeit zu leben und eventuell noch was zu erledigen. Aber weit gefehlt: Mit der Seelenruhe eines langjährigen Peter-Maffay-Hörers legt Karasek Stück für Stück für Stück für Stück aus dem übervollen Einkaufswagen auf das Rollband, übervorsichtig und mit Bedacht. Selbst der eingeschweißte geräucherte Hinterschinken wirkt in ihren Händen zerbrechlich wie ein Fabergé-Ei. Der Kassierer kratzt sich den Kopf und stapelt die Waren kunstvoll zu einer kleinen Pyramide, die Joghurtbecher zuunterst, obendrauf die schweren Saftflaschen.
Wenn man ganz leise ist, kann man zwischen dem monotonen Pieppieppiep hin und wieder ein leises Knacken hören. Dann weiß man: Zott Sahne Erdbeere hat aufgegeben. Am Ende stehen 167,73 Euro auf der Anzeige. Ohne Zögern zückt Karasek die Kreditkarte, da fragt der Kassierer: „Janz schön viel hamse da eingekooft. Kriegnse Besuch oder is bald wieder Weltkrieg?“
Ach, Reinickendorf, denke ich, du Berlin Berlins. Und das ist es auch: Im Endeffekt kommt es auf das Gleiche raus wie an einem Sonntag im Lidl am Ostkreuz. Man will kurz in den Supermarkt, um Nudeln und ein bisschen Sahne zu kaufen, und wenn man anderthalb Stunden später wieder zu Hause ist, fällt einem auf: Scheiße, ich hab die Sahne vergessen. FRÉDÉRIC VALIN