S-Bahn: Missmanager spielen Monopoly
Eine Studie belegt, dass das S-Bahn-Management systematisch geschlampt und sogar manipuliert hat, um die Gewinne für den Bahn-Konzern hochzuschrauben.
Was längst vermutet worden war, ist nun mit einer Studie renommierter Analysten bestätigt worden: Hinter dem Dauerchaos bei der S-Bahn steckt systematisches Missmanagement. Nicht einzelne Führungskräfte hätten Fehlentscheidungen getroffen, sondern das ganze Management habe bewusst auf Kosten der Sicherheit agiert, urteilen Anwälte einer Wirtschaftskanzlei und Wirtschaftsprüfer der KPMG in einer 400 Seiten dicken Untersuchung. Der Mutterkonzern der S-Bahn, die Deutsche Bahn, hatte die Studie in Auftrag geben lassen. Am Dienstag soll sie präsentiert werden, das Nachrichtenmagazin Spiegel zitiert bereits aus dem Papier.
In dem Bericht wird deutlich: Als Teil es konzernweiten Sparprogramms sollte von 2005 an auch die S-Bahn in Berlin auf Gewinn getrimmt werden. Der Fahrzeugbestand sollte reduziert, zugleich mehr Gewinn an die Deutsche Bahn abgeführt werden: Von neun Millionen Euro im Jahr 2004 auf 125 Millionen Euro 2010, wie es in der Berliner Morgenpost heißt.
Da verwundert es kaum, wenn die Prüfer Defizite bei Beschaffung und Wartung der reparaturanfälligen S-Bahn-Baureihe 481/482 feststellten. Im Jahr 2005 seien Testfahrten oder deren Messergebnisse manipuliert worden, schreibt der Spiegel. Mit den Tests sollte die langfristige Belastbarkeit der Achsen nachgewiesen werden. Im Januar 2007 habe die S-Bahn auf Nachbesserungen durch den Fahrzeughersteller Bombardier Transportation verzichtet - obwohl die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen war. Wartungsarbeiten an sicherheitsrelevanten Teilen wie Rädern und Bremssystemen seien unzureichend dokumentiert, zentrale Unterlagen fehlten.
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Christian Gaebler, würdigte die Offenheit des Konzerns. Es überrasche ihn, dass eine von der Bahn in Auftrag gegebene Studie derart Schonungsloses ans Licht bringen dürfe, sagte er am Sonntag der taz. Zugleich bleibe abzuwarten, wie sich Bahnvorstand Ulrich Homburg seiner Verantwortung stelle. "Herr Homburg wird in Erklärungsnot geraten", sagte Gaebler. Das Land wiederum müsse den Bericht analysieren, um für künftige Vertragsabschlüsse mit der S-Bahn gewappnet zu sein. "Das wird nicht so leicht, weil das Missmanagement ja an innerbetrieblichen Kontrollen vorbeilief", so Gaebler.
Auslöser der Krise war ein Radbruch im Mai 2009, wegen dem ein Zug entgleiste: Das Eisenbahnbundesamt stellte wenig später fest, dass die Bahn nach dem Unfall ihre Züge nicht in dem Umfang untersuchte, wie es das Aufsichtsamt angeordnet hatte. Die S-Bahn-Geschäftsführung musste gehen. Die S-Bahn fährt seit dem Sommer eingeschränkt. Im Zentrum war der Verkehr wochenlang eingestellt, außerhalb des Rings waren Linien zumindest unterbrochen. Die S-Bahn dürfte frühestens im kommenden Jahr zum Normalfahrplan zurückkehren - ob die Züge dann auch in der Normallänge fahren, ist ungewiss.
Laut Spiegel dürften sich die Kosten für die Krise auf 350 Millionen Euro belaufen. Bahnchef Rüdiger Grube sprach Ende Januar noch von 225 Millionen Euro. Inzwischen habe Grube personelle und strukturelle Konsequenzen beschlossen, berichtete die Morgenpost: Die S-Bahn solle enger mit dem Mutterkonzern verzahnt und besser beaufsichtigt werden. Es werde erwartet, dass auch verantwortliche Manager der S-Bahn, die bislang nur vom Dienst suspendiert oder versetzt waren, ihren Job verlieren. Grube gestand konzerneigene Fehler ein.
"Wir haben immer gefordert, dass es tief und weit reichende Konsequenzen geben wird", sagte Senatssprecher Richard Meng der taz. Nach dem Gespräch zwischen dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Bahnchef Grube habe der Senat durchaus das Gefühl gehabt, dass sich Grundlegendes ändern wird. Zu Details des Berichts wollte Meng vor dessen Veröffentlichung nichts sagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“