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■ Rußlands Expansion auf dem BalkanDie Rückkehr der Geopolitik

Selbst als er, zu Zeiten des nationalen Befreiungskriegs, noch internationalistischer Parteisoldat war, hatte Josip Broz Tito klar umrissene Vorstellungen von der Selbständigkeit der jugoslawischen Revolution. Nach dem Bruch mit der Kominform 1948 wurde der „dritte Weg“ auch außenpolitisch zur Staatsdoktrin – die Sowjetunion blieb draußen. Es blieb Slobodan Milošević vorbehalten, für Restjugoslawien mit dieser Grundlinie zu brechen. Heute ist Rußland wichtigster Verbündeter Serbiens und nachhaltigster Förderer des „großserbischen Projekts“.

Man hat für die Rückkehr Rußlands auf den Balkan vor allem innenpolitische Gründe geltend gemacht. Die wiedererstarkte russisch-orthodoxe Glaubensgemeinschaft und die vorwärtsdrängenden Kräfte des großrussischen Nationalismus zwängen Jelzins Regierung eine Orientierung auf, die ihr im Grunde als Vertreterin des „Westlertums“ wesensfremd sei. Daher auch die widerspruchsvolle russische Serbienpolitik, die zwischen Hilfe für die „serbischen Brüder“ und Verurteilung der „Wahnsinnigen“ in Pale schwanke. Diese Lesart ist nicht abwegig, aber sie ist ungenügend. Tatsächlich erleben wir gegenwärtig einen außenpolitischen Formationsprozeß, dessen geopolitische Logik sich aus einer versiegt geglaubten Quelle speist: der Rivalität zwischen Ost und West.

Seit Rußland mit den „Spezialbeziehungen zum nahen Ausland“ seine neue Hegemonialdoktrin proklamiert hat, wird die Ukraine schrittweise wieder in den Einflußbereich Moskaus gezwungen, wird in Transnistrien militärisch interveniert, wird Rumänien, das sich nach 1991 seiner Neutralitätsverpflichtungen entledigte, eingeschüchtert und werden die bulgarischen Wendesozialisten „ermutigt“, mit den westlichen Träumereien ihres Präsidenten Schluß zu machen. Der russischen Außenpolitik stehen in den einzelnen Ländern Südosteuropas mächtige Hilfstruppen zur Verfügung. Anders als die ehemals realsozialistischen Machteliten Ostmitteleuropas haben sich die serbischen, bulgarischen und rumänischen Ex-Kommunisten nur oberflächlich zu Sozialdemokraten gewandelt. Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und soziale Demagogie wurden hier zu einer überaus erfolgreichen Droge gemixt. In den Armeen und den „Diensten“ dieser Länder funktionieren nach wie vor die Verbindungen, die in glorreicheren Zeiten mit den sowjetischen Kollegen geknüpft wurden. Es ist dieser Nährboden, auf dem die neue Balkanpolitik Rußlands gedeiht.

Wenn Ostmitteleuropa in die Nato aufgenommen wird, so das russische Szenario, wird nicht nur die Ukraine wieder ins Reich zurückkehren, sondern werden auch die ehemals realsozialistischen Länder des Balkans samt dem vergrößerten Serbien der russischen Einflußzone einverleibt werden. So, wie es um die Politik „des Westens“ bestellt ist, könnte dieses Abstecken der Claims erfolgreich sein. Christian Semler

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