: Russland schneidet den Fluchtweg ab
■ Soldaten in Tschetschenien blockieren die letzte Straße nach Inguschetien. Moskau hat neue Version zum Massaker von Grosny
Moskau (Reuters/dpa) – Nach der Schließung der letzten Verbindungsstraße in die russische Kaukasusrepublik Tschetschenien hat sich die Lage Tausender Flüchtlinge deutlich verschlechtert. Hunderte Menschen drängten sich gestern auf beiden Seiten der Grenze. Soldaten hatten Anweisung, niemanden durchzulassen.
In der Nacht zu Samstag hatten russische Truppen die Hauptstraße abgeriegelt, die das nach Unabhängigkeit strebende Tschetschenien und die benachbarte russische Republik Inguschetien verbindet. Damit ist den rund 160.000 tschetschenischen Flüchtlingen auch der Rückweg in ihre Heimat versperrt.
Ein russischer Soldat an der Grenze zu Inguschetien sagte: „Wir stehen hier, weil wir wissen, dass es von tschetschenischen Kämpfern in der Gegend nur so wimmelt.“ Sie könnten sich als Flüchtlinge ausgeben. Eine 32-jährige Frau sagte, sie wolle mit ihrer Familie alle Habseligkeiten über die Grenze nach Inguschetien bringen, da der Krieg wohl noch länger dauern werde.
Der inguschetische Präsident Ruslan Auschew forderte Russland auf, den Flüchtlingskorridor wieder zu öffnen. Auschew sagte der russischen Nachrichtenagentur Interfax, er werde den russischen Präsidenten Wladimir Putin darum bitten. Andernfalls hätten die Menschen keine Möglichkeit mehr, Tschetschenien zu verlassen. Banditen könnten sich frei bewegen, und die friedliche Bevölkerung leide am meisten.
Die russische Artillerie beschoss am Samstag tschetschenische Stellungen rings um das im Westen gelegene Dorf Bamut, eine Hochburg der Rebellen. Artilleriefeuer war auch bei dem Dorf Goragorski, rund 50 Kilometer von der tschetschenischen Hauptstadt Grosny entfernt, zu hören. Am Donnerstagabend waren bei einem Angriff auf den Markt von Grosny mindestens 60 Menschen getötet und 200 verletzt worden.
Zu dem Massaker von Grosny sagte der stellvertretende russische Stabschef Waleri Manilow, russische Spezialeinheiten hätten in Grosny zwei Rebellengruppen gegeneinander aufgewiegelt. Im Verlauf der Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen sei es zu den Explosionenen auf einem Waffenmarkt gekommen. Es war bereits die vierte Version, die die russische Regierung über ihre Beteiligung an der Tragödie verbreitet hat.
Die USA legten bei dem russischen Botschafter in Washington Beschwerde gegen das Vorgehen Russlands in Tschetschenien ein. Russland dürfe nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen, sondern müsse eine politische Lösung des Konfliktes suchen, sagte ein Sprecher des Präsidialamtes in Washington. Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder verurteilte den Raketenangriff auf Grosny. Zugleich betonte er die Notwendigkeit einer tragfähigen politischen Lösung.
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