: Rußland: Ein Haushaltsbudget „ohne Gnade“
■ Mißtrauensantrag gegen russische Regierung findet nicht die erforderliche Mehrheit / Ministerpräsident Tschernomyrdin fordert rigoroses Sparprogramm
Moskau (AFP) – Rußlands Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin hat bei der Durchsetzung seiner Sparpolitik eine erste Hürde im Parlament genommen. In der Staatsduma in Moskau scheiterte nach einer kontroversen Debatte über den Haushaltsentwurf für 1995 der von der Opposition eingebrachte Mißtrauensantrag gegen die Regierung. Zuvor hatte Tschernomyrdin dazu aufgerufen, seinen Sparkurs zu unterstützen. In der Haushaltsdebatte räumte der Regierungschef ein, die vorgeschlagenen Maßnahmen könnten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit bedeuten. Langfristig würden sie jedoch zu wirtschaftlicher Stabilität führen. „Es ist notwendig, entscheidende Schritte in Richtung weiterer Reformen zu unternehmen“, betonte Tschernomyrdin mit einer Entschiedenheit, die Abgeordnete an seinen Vorgänger Jegor Gajdar erinnerte.
Insgesamt plant die Regierung 1995 Ausgaben in Höhe von 216 Billionen Rubel (etwa 110 Milliarden Mark) bei Einnahmen von 144 Billionen Rubel (etwa 75 Milliarden Mark). Das Haushaltsdefizit 1995 würde damit 7,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen gegenüber voraussichtlich mehr als zehn Prozent im laufenden Jahr. Die Inflationsrate soll bis Ende 1995 auf ein Prozent monatlich reduziert werden. Ausländische Experten äußerten sich zu dem Entwurf vorsichtig optimistisch. Vertreter der Weltbank kritisierten allerdings, daß staatliche Subventionen nicht einmal um die Hälfte gekürzt würden. Der Mißtrauensantrag gegen Tschernomyrdin wurde von 194 der 450 Abgeordneten unterstützt. Er verfehlte damit die erforderliche absolute Mehrheit. Allerdings sprachen nur 54 Abgeordnete dem Regierungschef das Vertrauen aus. Die übrigen Parlamentarier enthielten sich der Stimme oder nahmen an der Abstimmung nicht teil.
Der entschiedene Reformer Gajdar hatte den Abgeordneten seiner Partei Rußlands Wahl empfohlen, für Tschernomyrdin zu stimmen. Dagegen wollten die Demokratische Partei und die Kommunisten den Mißtrauensantrag unterstützen. Berater Tschernomyrdins bezeichneten den vorgelegten Haushaltsentwurf für 1995 als „Budget ohne Gnade“. Er sieht angesichts des hohen russischen Haushaltsdefizits einschneidende Kürzungen vor. Unrentable Unternehmen sollen geschlossen werden. Größter Einzelposten ist trotz drastischer Einschnitte der Militärhaushalt mit 45 Billionen Rubel oder 21 Prozent der Gesamtausgaben. Tschernomyrdin warnte die Abgeordneten, die kommenden Jahre könnten zu „Zeiten von Schmerzen und verpaßten Chancen“ werden, wenn der Budgetentwurf abgelehnt werde. Nun müßten die Weichen für Reformen gestellt werden. Der Regierungschef sagte für 1995 ein Jahr der finanziellen Stabilität voraus. Das Ende der Rezession sei jedoch erst 1996 und ein industrielles Wachstums für 1997 zu erwarten. Der Reformer Anatoli Schabad warf Tschernomyrdin vor, Zeit verspielt zu haben. Jetzt lege der Regierungschef jene Vorschläge Gajdars vor, die er zwei Jahre lang bekämpft habe, sagte der Abgeordnete. Sergej Glasjew von der Demokratischen Partei kritisierte dagegen die geplante Schließung von Staatsunternehmen. Aus Protest gegen die Sparpläne hatten die Gewerkschaften für Donnerstag zu einem Aktionstag aufgerufen. Ihre Aufrufe wurden jedoch offenbar kaum befolgt.
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