■ Rußland: Der „Stabilitätspakt“ schwächt Jelzin und stärkt die Duma: Kaltgestellt
So einfach geht das in Rußland: Der Präsident entmachtet sich selbst – per Unterschrift. Denn genau das sieht das „Stabilitätsabkommen“ zwischen dem russischen Unterhaus und der geschäftsführenden Regierung vor, den Boris Jelzin absegnen darf. Der Staatschef pfuscht nicht mehr in die Kabinettsbildung hinein, dafür lassen sich Duma und Regierung, zumindest für die nächsten anderthalb Jahre, in Ruhe. Damit ist die Präsidialdemokratie, deren Einführung im Jahre 1993 mit dem Erfordernis einer starken Exekutive begründet worden war, ausgehebelt. An ihre Stelle tritt ein konfuses Mischsystem mit einer dubiosen Machtverteilung zwischen Parlament und Regierung.
Vor diesem Hintergrund spielt es überhaupt keine Rolle mehr, daß Jelzin noch kürzlich ankündigte, bis zum Ende seines Mandates im Jahre 2000 im Amt bleiben zu wollen. Er ist kaltgestellt und zu einem Beobachter des politischen Geschehens degradiert.
Nutznießer des Stillhalteabkommens, das eine Verfassungskommission innerhalb eines Monats nachträglich sanktionieren soll, ist die von nationalistischen und kommunistischen Kräften beherrschte Duma. In der Vergangenheit hat es nicht an Versuchen des bis dato weitgehend zahnlosen Parlaments gefehlt, sich durch die Hintertür mehr Macht zu verschaffen. Die bekommt sie jetzt.
Und die Ankündigung von Gennadi Sjuganow, bestimmte Punkte der Vereinbarung mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu ändern, zeigt deutlich, in welcher Weise der Führer der Kommunisten die neugewonnenen Kompetenzen künftig zu nutzen gedenkt. Wie der designierte Ministerpräsident Tschernomyrdin das dem Westen noch als Fortsetzung des Reformkurses verkaufen will, ist vorerst sein Geheimnis.
Mit dem Deal zwischen Parlament und Regierung entfällt auch die Notwendigkeit, den abgewirtschafteten Präsidenten zurückzutreten. Jedoch ist das – aus gesundheitlichen Gründen versteht sich – keineswegs ausgeschlossen, und für einen ehrenwerten und finanziell abgesicherten Abgang Jelzins ist bereits alles vorbereitet. Genau darauf setzt Ex-General Alexander Lebed, der Jelzins Amtszeit schon jetzt beendet sieht. Nur dürfte sich der Gouverneur von Krasnojarsk und selbsternannte „Halbdemokrat“ keineswegs mit beschnittenen Vollmachten zufriedengeben. Dann wird die „Lex Jelzin“ eben wieder verändert. Wie man eine Verfassung maßgerecht für eine Person schneidert, wissen die Russen ja. Barbara Oertel
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