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Russen und Rumänen

■ Das kleine Moldova hat nie so recht gewußt, wo es eigentlich hingehört

Moldova war im Mittelalter Teil des gleichnamigen rumänischen Fürstentums. Später war der Landstrich zwischen den Flüssen Dnjestr und Pruth immer wieder Schauplatz russisch- türkischer Kriege. 1812 wurde sie im Rahmen der Napoleonischen Kriege endgültig vom Zaren okkupiert und dem Russischen Reich einverleibt.

Im Jahre 1918, nach dem Ersten Weltkrieg, erlangte Moldova seine Unabhängigkeit und erklärte noch im selben Jahr den Anschluß an Rumänien. Im Jahre 1940 besetze die Rote Armee Moldova, nachdem Stalin zuvor ein „Rückgabe-Ultimatum“ an Rumänien gestellt hatte und die rumänische Armee kampflos abgezogen war. Während des Zweiten Weltkrieges noch für kurze Zeit unter rumänischer Herrschaft, blieb Moldova nach dem Krieg endgültig Teil der Sowjetunion.

In der zu knapp zwei Dritteln von ethnischen Rumänen und einem Drittel von Russen, Ukrainern, Gagausen, Bulgaren, Roma, Juden und Polen bewohnten „Moldawischen Sozialistischen Sowjetrepublik“ verbot Stalin alles Rumänische. Um die Bevölkerungsstruktur zu ändern, gliederte er den am Schwarzen Meer gelegenen südlichen Landesteil der Ukraine an und schlug Moldova „Transnistrien“ zu — den Landstreifen am linken Ufer des Dnjestr, historisch nicht Teil der rumänischen Fürstentümer. Rumänisch durfte nur in kyrillischer Schrift geschrieben werden, wurde zur „Küchensprache“ degradiert, und sowjetische Linguisten „bewiesen“, daß der Dialekt der Moldauer eine eigenständige Sprache — eben moldawisch — sei.

Ende der 80er Jahre sorgte eine rumänische Nationalbewegung für Bewegung im moldowanischen Parteiapparat. Die alte KP-Führung, noch unter Gorbatschow für ihre harte Linie bekannt, wurde mit Gewalt gestürzt. Rumänisch konnte wieder in lateinischer Schrift geschrieben werden und wurde im August 1989 als Staatssprache proklamiert. Die neue Führung der Sowjetrepublik erwog eine langfristige Vereinigung mit Rumänien. Das rief russische Separatisten auf den Plan. Sie gewannen Unterstützung unter der nichtrumänischen Bevölkerung, schürte doch die nationalistische Propaganda so mancher prorumänischen Gruppierung in Moldova vor allem unter Russen Angst. Sie sahen sich plötzlich aus der Stellung der herrschenden Schicht in die ungewohnte Lage einer beherrschten Minderheit verstoßen.

Im Hintergrund des Streites, der 1992 zum Krieg zwischen der Regierung und russischen Separatisten in Transnistrien führte, stand ein Machtkampf zwischen stalinistischen und moderaten Kommunisten — letztere zumeist ethnische Rumänen, welche als ehemalige Kommunisten nun nationale Parolen im Munde führten, um an der Macht zu bleiben. Noch bevor Moldova 1992 unabhängig wurde, riefen die Separatisten die bis heute von niemandem anerkannte „Transnistrische Moldawische Sozialistische Sowjetrepublik“ aus. Dort herrschen seitdem großrussisch- chauvinistische Stalinisten im Verein mit Kosaken und der 14. Russischen Armee.

In Moldova selbst ist von einer Vereinigung mit Rumänien nicht mehr die Rede — weder unter Politikern noch unter der Bevölkerung. Die Regierung schlägt seit langem scharfe Töne gegen rumänische Umarmungsversuche an, „unionistische“ Parteien hingegen stellen eine marginale Minderheit dar. Moldova trat 1994 der GUS bei, und laut der Verfassung hat Russisch neben der rumänischen Sprache eine Art Status als zweite Amtssprache. Die Verpflichtung, Rumänisch zu lernen, wurde dagegen außer Kraft gesetzt. Kürzlich erhielt die gagausische Minderheit, ein christliches Turkvolk im Süden Moldovas, eine weitgehende politische, adminstrative und kulturelle Autonomie. kv

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