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Salman Rushdie wird weiter mit Mord bedrohtRushdie sucht den Dialog, Iran bietet Kopfgeld

■ Teheran bleibt dabei: 4,5 Mill. DM sind auf den Kopf des Autors der „Satanischen Verse“ ausgesetzt — die Antwort auf Rushdies öffentliche Auftritte und seine Dialogversuche mit Moslems

Zum ersten Mal hat ein britischer Moslem-Führer die Aufhebung des Todesurteils gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie gefordert. In einem Artikel im britischen 'Observer‘ schrieb der Vorsitzende der „Islamic Society for the Promotion of Religious Tolerance“, Hesham El-Essawy: „Die ,Fatwa‘ muß weg.“ Rushdie sei kein abtrünniger Gläubiger, also könne sie auch nicht auf ihn angewendet werden.

Mit seinem öffentlichen Bekenntnis beendete El-Essawy die Spekulationen über die Identität des „moslemischen Führers“, mit dem Rushdie nach eigenen Angaben bereits seit Mitte November in Kontakt stehe. El-Essawys Optimismus, daß sich die „Kontroverse schnell einer befriedigenden Lösung“ nähere, ist jedoch voreilig. Sher Azam, der Vorsitzende des Rats der Moscheen, sagte gestern zur taz: „El-Essawy hat seine persönliche Meinung geäußert. Dazu hat er zwar das Recht, aber das ändert nichts. Kein islamischer Führer in Großbritannien teilt seine Ansicht.“ Er fügte hinzu, daß es alleine an Rushdie liege, seine Situation zu ändern: „Solange das Buch nicht zurückgezogen wird, bleibt die Beleidigung des Islam bestehen. Da können wir nichts machen.“ Die Frage nach der „Fatwa“ beantwortete Azam ausweichend: „Unsere Kampagne ist gegen die Satanischen Verse gerichtet. Sie wird weitergehen.“ Dabei sei es unerheblich, ob Rushdie auf eine Taschenbuchausgabe — die zwar gedruckt, aber bis heute nicht ausgeliefert ist — verzichte: „Es macht keinen Unterschied, ob dieser bösartige Angriff auf den Islam in einer Zeitschrift oder als Taschenbuch veröffentlicht ist. Die Satanischen Verse sind inzwischen weltbekannt. Nur Rushdie selbst kann die Beleidigung aus der Welt schaffen.“ Azam sagte, daß El- Essawys Vorstoß morgen bei einem Treffen der islamischen Führer in Leicester diskutiert werde.

An dem Treffen wird auch Abdal Chowdury, der Vorsitzende der „British Muslim Action Front“, teilnehmen. Er sagte: „Wir sind diejenigen, die den Hauptfeldzug gegen Rushdie führen, und wir haben nichts von ihm gehört. Ohnehin ist die Aufhebung der ,Fatwa‘ keine Privatangelegenheit, die irgendjemand fordern und jemand anders einfach so gewähren kann.“ Seine Organisation tritt dafür ein, daß Rushdie aufgrund des Blasphemiegesetzes strafrechtlich verfolgt werde.

Kalim Siddiqui, der Direktor des Moslemischen Instituts in London, gab Chowdury Recht: „Die ,Fatwa‘ ist nach wie vor gültig, weil Rushdie ein Kapitalverbrechen gegen das islamische Gesetz begangen hat. Darüber herrscht völlige Übereinstimmung in der islamischen Welt.“ Allerdings schränkte er ein: „Das Urteil kann in diesem Land nicht ausgeführt werden. In Großbritannien gibt es keine Todesstrafe, und es ist die oberste Pflicht der Moslems in Großbritannien, den britischen Gesetzen zu gehorchen.“ Dann fügte er jedoch hinzu: „Zwar ist die Todesstrafe abgeschafft worden, aber sie haben Mord nicht abgeschafft.“ Siddiqui distanziert sich von den moderaten Moslems: „Diese sogenannten Gemäßigten, die immer herangekarrt werden, um mich zu kritisieren, sind überhaupt keine richtigen Moslems.“ In den Satanischen Versen sieht er lediglich das letzte Produkt einer Verschwörung des Westens gegen den Islam, die bereits „seit den Kreuzfahrten“ existiere.

Nachdem Gerüchte über Kontakte zwischen Rushdie und „gemäßigten islamischen Führern“ bekannt geworden waren, flog Siddiqui in der vergangenen Woche nach Teheran, um Ayatollah Khamenei davon zu überzeugen, daß es „keinen Grund“ für die Aufhebung der „Fatwa“ gebe. Die iranische Regierung bestätigte am Wochenende, daß sie unwiderruflich sei. Kultus- und Religionsminister Khatami sagte, das Todesurteil sei keine Frage, die im Rahmen der politischen Interessen des Iran gelöst werden könne. Die iranische „Stiftung des 5. Juni“ wiederholte am Dienstag ihr Angebot von einer Million Dollar für den Mord an Rushdie. Ein Iraner würde für die Tat sogar die dreifache Summe erhalten. Auch von anderen moslemischen Organisationen, u.a. aus Zypern, ist ein Kopfgeld auf den Schriftsteller ausgesetzt worden.

Salman Rushdie suchte den Dialog mit Moslems in Großbritannien, seit der verstorbene iranische Ayatollah Chomeini am 14. Februar 1989 das Todesurteil über ihn verhängt hatte. Nach fast zwei Jahren im Untergrund — in den ersten fünf Monaten nach Verhängung der „Fatwa“ mußte Rushdie 56 Mal sein Versteck wechseln — versuchte Rushdie in den vergangenen Wochen, sich ein Stück „Normalität“ zurückzuerobern. Er gab zunächst Interviews in seinem Versteck, dann in einem Fernsehstudio, in der vergangenen Woche veranstaltete er im Norden Londons eine Signierstunde für sein neues Kinderbuch für Erwachsene Haroun and the Sea of Stories und am Montag morgen nahm er im Rundfunkstudio an der BBC-Literaturrunde von Melvyn Bragg teil.

Von der „Wiederaufnahme in die Gesellschaft“, die sich der Buchladeninhaber Tim Waterstone erhoffte, ist Rushdie jedoch noch weit entfernt. Die Signierstunde fand in einem Teil Londons statt, in dem kaum Moslems leben, und wurde bis zuletzt geheimgehalten. Selbst die Angestellten des Buchladens erfuhren erst fünf Minuten vorher von Rushdies Besuch, der von starken Sicherheitsvorkehrungen bestimmt wurde. Rushdie im 'Guardian‘-Interview: „Es kostet mich jeden Tag eine Menge Energie, um weiterzumachen. Anfangs konnte ich mir überhaupt kein Ende vorstellen. Oder besser gesagt: Ich konnte mir kein anderes Ende vorstellen, als daß ich getötet würde. Inzwischen kann ich mir vielleicht jedoch eine andere Lösung vorstellen.“ Solange jedoch ein Teil der Moslems auf die „Fatwa“ besteht, kann Rushdie kein normales Leben führen. Und der größte Teil der islamischen Organisationen in Großbritannien zeigt nach wie vor keine Bereitschaft, über die „Fatwa“ zu diskutieren — geschweige denn von ihr abzurücken. Ralf Sotscheck

Morgen in der taz: Martin Amis, „Rendezvous mit Rushdie“

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