URDRÜ's KOLUMNE: Rundrum rücksichtslos
■ Ulrich Reineking-Drügemöllers Text as Text can
Eine Initiative besorgter Eltern hat sich in Bremen gegründet, um vor dem sogenannten Jugendpresseball im Parkhotel zu warnen. Ganze Familienverbände werden durch den Auftritt ihrer clearasil-gepflegten Kids bei dieser Nobelsause ins materielle Elend getrieben — und obendrein landen die jungen Leute auch noch blitzschnell in schlechter Gesellschaft. Da flirtet zum Beispiel der 24-jährige Jens Eckhoff ausweislich der Fotoreportage von BILD derart ungeniert mit Silvia N. (28, verheiratet, 1 Kind), daß Freundin Martina empört die Fete verläßt.
Jens E. ist zwar polizeilich noch nicht in Erscheinung getreten, soll aber Rädelsführer des Junge Union-Kreisverbands und Sparkassenangestellter sein, während Silvia N. sich als Bundestagskandidatin der CDU durch's Leben schlägt. Gelegenheit zum Revanche-Foul für Martina gibt's vielleicht schon heute bei der JU-Fete im Grollander Krug unter dem Motto „1 Jahr ohne Mauer“. Dort treffen sich viele Akteure der Ballnacht wieder, und da der aus Funk und Fernsehen bekannte Parlamentarier Berd Neumann eine Runde Freibier spendiert, erklärt Jens E. schon im Vorhinein: „Wenn der 9. November kein Tag zur Freude ist, welcher dann?“ Vorsicht, Jens — man soll den Tag nicht loben vor dem Morgen danach!
Also diese Geschichte ist auch nicht erfunden, sondern geschah am 7. November gegen 17 h bei Saturn- Hansa in der Faulenstraße zu Bremen. Ein vermutlich aus Syke, Dörverden oder Borgfeld stammender Senior in grünem Loden läßt sich vom Verkäufer die Fernbedienung eines Videorekorders erläutern. „Ich hab dann noch 'ne Frage...“: ob es möglich sei, er habe mal so etwas gehört, das Gerät mit dem Telefon so zu koppeln, daß man bei der Programmänderung auch die Zeitprogrammierung des Aufnahmegeräts ändern könne. „Weil, ich verreise jetzt für zwei Wochen und wenn dann der Golfkrieg im Gange ist, dann ändern die doch ständig die Anfangszeiten wegen der Direktübertragungen. Tennis ist ja sonst nicht so viel in der Zeit.“ Der Mann ist ein Prophet.
Gefährdet sind die Regenwälder, die Seehunde und natürlich das bißchen Frieden. Nicht gefährdet aber ist der Start des Bremer Catch-Turniers am 15. November in der Stadthalle. Und das, obwohl gewissenlose Unholde in der Dortmunder Westfalenhalle in dieser Woche die Ringergarderobe in Brand setzten und damit zahlreiche Kraftpakete des hiesigen Turniers um ihre Ringertrikots brachten. Promoter und Ex-Weltmeister Otto Wanz orderte bereits die erforderlichen Stoffballen und einige fleißige Maßschneider. Für den Fall, daß diese nicht rechtzeitig fertigwerden, droht BIG OTTO seinen Bremer Fans: „Dann kämpfen wir erstmal barfuß“. Gerüchten zufolge hat das Rat & Tat-Zentrum für diesen Fall der Fälle schon einen Satz Karten für die erste Reihe gebucht.
Niemand sollte behaupten, daß die stellvertretende CDU-Kreisvorsitzende Monika Harms für die Einrichtung von Konzentrationslagern für Suchtkranke ist. Zur Kenntnis nehmen darf man allerdings, daß der Kreisvorstand vorschlägt, „für jenen Personenkreis, der ohne soziale Bindung ist und nicht bereit oder willens, die vorhandenen Hilfen anzunehmen“, Notübernachtungen am Rande der Stadt bereitzustellen. „Diese Einrichtungen sind streng zu überwachen, so daß dort weder Dealen noch Fixen möglich ist.“ So einfach geht das. Sagt Frau Harms.
Die rührende Romanze zwischen Wedeklaus und Grothenhans irgendwo am oder auf dem Mittelmeer bewegte vor vielen Monaten selbst hartgesottene Gemüter. Und als der Investor Hans Grothe dann auch noch sein Bilderlager mit aktueller Kunst in Bremerhaven zu deponieren versprach, da sang so mancher das Hohe Lied der Männerfreunschaft. Und die ist bekanntlich keine Einbahnstraße. Deshalb sollte der Beirat Mitte sich auch nicht so haben wegen der 15.000 qm Büro-und Geschäftsfläche, die Grothe da in sechs Etagen über den Bahnhofsvorplatz mauern möchte. Wenn dann noch ein bißchen was für die Senats-Bar-Kasse bei rüberkommt, dann wär' das doch schon mehr als früher bei der Neuen Heimat.
Noch zehn Tage bis zum Volkstrauertag. Ritterkreuzträger putzen schon ihr Blech für die jährliche Heldengedenk-Gala auf der Altmannshöhe in den Wallanlagen und irgendwo verstaubt das Modell, mit dem der 70-jährige Bildhauer Fritz Stein seine Vorstellung zur Umgestaltung der Nazi-Weihestätte im Haus der Bürgerschaft darstellen wollte. Präsident Dr. Dieter Klink zog im vergangenen Jahr seine Zusage unter dem Druck der alten Kameraden zurück. Die GaDeWe sorgt jetzt für eine partielle Korrektur dieser Fehlentscheidung und zeigt das Modell ab morgen für eine Woche in der Reuterstr. 9-17. Wenn's den einen oder anderen Ehrengreis hinreichend ärgert, dann ist das schon eine Nominierung für den Friedenspreis der Villa Ichon wert.
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