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Schöner lebenRumkugeljunkies

■ Warum Tante Emma-Läden Leben retten

Neulich, der Kühlschrank zeigte deutliche Anzeichen von existenzbedrohender Verödung, zwang ich mich doch hinaus in den Bremer Sommer. Ein kurzer Ausflug in den Bioladen und auf dem Rückweg noch eben in den TanteEmma-Laden von gegenüber: Und schon stand ich trotz Einsatzes eines Ganzkörperkondoms – gib dem Regen keine Chance! – vor der Ladenbesitzerin Frau Schwecke wie ein Idiot, der nach dem Baden das Abtrocknen vergessen hatte. „10 Brötchen“, rief ich an gegen das Rauschen des Wasserfalls, der sich von meiner Regenmütze aus seinen Weg über mein Gesicht direkt zu den in durchfeuchtetes Leder eingelegten Füßen bahnte.

Während Frau Schwecke sich an die Arbeit machte, trat eine alte Dame in den Laden. Trotz ihres Hutes, der verdächtige Ähnlichkeit mit einer dieser famosen selbstgehäkelten Klorollenverhüllungen hatte, und trotz der unübersehbaren Wasserschäden am ganzen Leib wirkte die Dame „very british“. Mit grimmigem Blick legte sie Regenschirm und Handtasche zur Seite, nahm die beschlagene Brille von der Nase und rief: „Also Frau Schwecke, das ist doch wirklich ein Wetter, wo man Selbstmordgedanken bekommt!“

„Oh Schreck“, dachte ich. Schon kramte ich in Gedanken nach der Telefonnummer der Telefonseelsorge, sah mich bereits blutbesprenkelt über der alten Dame hängend, im verzweifelten Bemühen, mit meinen gerade erworbenen Brötchen riesige, ekelhaft pulsierende Wunden der Harakirigefährdeten zu stopfen. Doch Frau Schwecke wußte besseren Rat. „Ach Frau Elam, da kaufen Sie sich mal schön 'n Stückchen Butterküchelchen, trinken sich heute nachmittag 'nen Kaffee dazu und dann sieht die Welt doch wieder ganz anders aus.“ Das schien die eben noch vom existentiellen Weltschmerz fürchterlich gebeutelte Frau Elam zu überzeugen. Ohne Widerrede fügte sie sich in das Schicksal und bestellte mit lüsternem Blick einen (ihrer Stimmung entsprechend) riesigen Streifen des angepriesenen Antidepressivums.

Noch ganz gefangen von der zu Herzen gehenden Lebensweisheit, die dieser spontanen Krisenintervention zu eigen war, bemerkte ich erst jetzt den älteren Herrn, der in der Zwischenzeit den Laden betreten und neben mir den Platz eingenommen hatte. Auch sein Blick haftete unverkennbar an der Kuchentheke. Und als die Therapeutin Frau Schwecke auch diesem Klienten ihre Aufmerksamkeit widmete, deutete der ältere Herr auf die Auslage und sagte: „Wie immer, Frau Schwecke: zwei Rumkugeln.“

Morgens um acht Uhr schon den Blutzuckerpegel allen Quacksalberwarnungen zum Trotz in den tiefroten Bereich zu treiben – das imponierte mir gewaltig. Und so versuchte ich, dem mutigen Herrn aufmunternd zuzulächeln. Ob es an meiner völlig verregneten Fresse lag? Der Versuch schlug fehl. Stattdessen nahm der Herr eine verlegene Haltung an und gestand verschämt: „Ach, wissen Sie, ich bin rumkugelsüchtig.“ Verstört ob so viel Offenheit gegenüber einem Fremden verließ ich die Praxis von Frau Schwecke.

Seitdem allerdings ist viel passiert. Mein Konsum an Butterkuchen ist völlig außer Kontrolle geraten. Frau Schwecke, meine local Dealerin, versorgt mich regelmäßig mit dem Stoff, den auch ich nun benötige, um den Sommer zu ertragen. Noch geht es mir ausgezeichnet, auch wenn die seit kurzem zusätzlich aufkeimende Lust auf Rumkugeln mir zu denken gibt. Nun überlege ich schon, ob es nicht angebracht wäre, mit Frau Elam und dem älteren Rumkugeljunkie die Selbsthilfegruppe der anonymen Gebäckabhängigen zu gründen. Aber vielleicht warten wir auch nur einfach auf den Herbst. Empfiehlt jedenfalls Frau Schwecke. zott

ich an gegen das Rauschen des Wasserfalls, der sich von meiner Regenmütze aus seinen Weg ü

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