: Ruhe nach dem Müntesturz
Krisensitzung des NRW-SPD-Präsidiums nach dem Rücktritt von SPD-Bundeschef Franz Müntefering. Parteilinke dementieren Verschwörungstheorien. Basisinitiative für Amtsverbleib des Sauerländers
VON KLAUS JANSENUND MARTIN TEIGELER
Verschlossene Türen, endlose Krisensitzungen – nach dem überraschenden Rücktritt von SPD-Chef Franz Müntefering hatten die Spitzengremien des größten Landesverbandes gestern Diskussionsbedarf. NRW-SPD-Chef Jochen Dieckmann verließ die Krisensitzung des Parteipräsidiums gestern Nachmittag nur für ein kurzes Statement. Der Vorsitzende sprach von einer „echten Zäsur“ und gebrauchte das Bild von den „zwei Zügen“, die aufeinander zugerast seien. Es wäre wünschenswert, das Geschehene jetzt „rückgängig zu machen“, so Dieckmann. Dennoch dürfe es für die SPD nun keine „Hängepartie“ geben, die Partei müsse nach vorn schauen, sagte Dieckmann und kehrte zu seinen Präsidiumskollegen zurück, ohne die vielen Journalistenfragen zu beantworten. Die erfolgreiche Kampfkandidatur von Ex-Juso-Chefin Andrea Nahles gegen Münteferings Favoriten Kajo Wasserhövel um den Posten des Generalsekretärs, die darauffolgende Demission des Sauerländers, die Krise der Partei – die NRW-SPD hatte bei der gestrigen Sondersitzung (bei Redaktionsschluss nicht beendet) noch viel zu bereden.
Am Abend des Müntefering-Rücktritts hatte Landeschef Dieckmann eher kühl und routiniert auf die Vorfälle im SPD-Bundesvorstand reagiert. Es sei „bedauerlich“, dass Franz Müntefering nicht mehr als SPD-Parteivorsitzender zur Verfügung stehen werde. Nichtsdestotrotz sei seine Entscheidung „sehr konsequent“, so Dieckmanns knappe Reaktion.
Nach taz-Informationen hat eine Mehrheit der NRW-SPD-Mitglieder im 45-köpfigen Bundesvorstand bei der Abstimmung für Ex-Juso-Chefin Nahles votiert. „Die Mehrheit war klar gegen Kajo Wasserhövel“, so ein linker SPD-Bundestagsabgeordneter aus dem Ruhrgebiet. Münteferings anschließender Rückzug sorgt bei den nordrhein-westfälischen Nahles-Unterstützern für Unverständnis. „Das war völlig unnötig. Es gab keinen Anlass zu glauben, dass sich die Wahl von Nahles persönlich gegen ihn gerichtet habe“, sagte die Dortmunder Bundestagsabgeordnete und SPD-Vorständlerin Ulla Burchardt. Schließlich habe das Präsidium der Partei am Sonntag beschlossen, jedwede Entscheidung des Vorstands mitzutragen – und das gelte auch für Franz Müntefering. Übertrieben traurig macht der Verlust des Vorsitzenden die SPD-Linken nicht. „Es gibt Schlimmeres. Müntefering ist nicht der erste Vorsitzende, der den Büttel hingeschmissen hat“, so Burchardt. Die Abstimmung sei ein selten gewordener Akt innerparteilicher Demokratie gewesen. Burchardt gilt als aussichtsreiche Kandidatin für den Vorsitz der mächtigen NRW-SPD-Landesgruppe in Berlin.
„Das mit Müntefering kam überraschend“, sagte NRW-Jungsozialistenchef Alexander Bercht gestern zur taz. Nach allem, was er wisse, habe Müntefering die Personalentscheidung im Bundesvorstand zuvor nicht als indirekte „Vertrauensfrage“ deklariert. Einen Putsch oder eine Verschwörung gegen Müntefering habe es nicht gegeben, so Bercht: „Das ist absoluter Quatsch.“ Auch für Burchardt ist klar: „Das war kein Putsch.“
Zumindest erscheint auch völlig unklar, was die NRW-SPDler mit einer geplanten Meuterei gegen Müntefering bewirken wollten. Den Ausstieg aus den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU? Eine radikale Abkehr von der Agenda 2010? Wohl kaum. Vertreter der Linken bestreiten beides.
Sicher ist nur, dass Generalsekretärs-Kandidat Wasserhövel selbst in seinem Heimatverband wenig beliebt war. Als Münteferings Personalvorschlag vor gut einer Woche bekannt wurde, saß der NRW-SPD-Vorstand gerade bei einer Klausurtagung zusammen. Mit Kajo Wasserhövel. Der Bundesgeschäftsführer referierte laut Vorstandsmitgliedern über den Bundestagswahlkampf, als die Sitzungsteilnehmer von der Nominierung des 43-jährigen Münsterländers erfuhren. „Keiner hat was gesagt“, so ein Vorstandsmitglied. Weder Wasserhövel noch Landeschef Dieckmann thematisierten die Personalie auf der Sitzung. „Das war fast ein wenig peinlich, wie das totgeschwiegen wurde“, heißt es. Während sich andere Landesverbände für oder gegen Wasserhövel positionierten, bliebt die NRW-SPD stumm. Lediglich eine Initiative von Linken und Zentristen verfasste einen Pro-Nahles-Aufruf (taz berichtete). Offizielle Beschlüsse der nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten zu der Personalie wurden wohl nicht gefasst.
Erst jetzt melden sich Wasserhövel-Fans aus Nordrhein-Westfalen mit einer Kampagne im Internet zu Wort. Auf einer rasch freigeschalteten Webseite werben junge SPD-Funktionären aus NRW seit gestern für den Amtsverbleib Münteferings. Motto der Sozialdemokraten: Wir-wollen-Franz.de. Übertroffen wird die SPD-Trauer nur von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers. Der kommentierte Müntes Abgang gestern so: „Es ist ganz schlimm.“