Rufus Wainwright auf der Bühne: Trauerarbeit vor Publikum
Rufus Wainwright beginnt seine Deutschland-Tour in München. Im ersten Teil des Konzerts gedenkt er seiner verstorbenen Mutter, der Folksängerin Kate McGarrigle.
Rufus Wainwright lässt sein Publikum erst einmal im Dunkeln. Nur zwei Spots beleuchten den Flügel auf der Bühne. Zuvor hatte er der vollbesetzten Münchner Muffathalle bereits verkünden lassen, dass er Beifallsbekundungen während des ersten Teils seines Konzerts zu unterlassen bitte. Zum Ausgleich verspricht er ein Gesamtkunstwerk aus seiner Musik und Bildern des schottischen Künstlers Douglas Gordon, die hinter dem schwarzen Steinway auf eine große Leinwand projiziert werden.
Gemessenen Schrittes entert Wainwright dann die Bühne - als würde er einem unsichtbaren Leichenzug folgen. Sein Gewand ist schwarz. Seine Mutter, die Folksängerin Kate McGarrigle, ist im Januar verstorben. Nun trägt der Dandy Wainwright Trauer: Die Schleppe seines Umhangs, der mit einer Art Federboa um seinen Hals abschließt, ist meterlang. Sie reicht über die ganze Bühne. Hinter ihm erscheint ein grünes Auge, das sich stetig schließt und wieder öffnet. Je länger Wainwright spielt, desto mehr Exemplare des schwarz geschminkten Auges erscheinen hinter ihm, bis zuletzt doch wieder nur eines übrig bleibt.
Fast übergangslos reiht Wainwright die Stücke seines aktuellen Albums "All Days Are Nights: Songs for Lulu" aneinander. Auf Ansagen verzichtet er. So entsteht ein einziger wogender Song, den Wainwright mehr für sich selbst als für das im Dunkeln sitzende Publikum singt.
Wainwright scheint es nach der Uraufführung seiner ersten Oper "Prima Donna" die ästhetische Reduktion angetan zu haben. Die Stücke auf dem "Lulu"-Album sind alle nur mit Klavier und seiner Stimme aufgenommen, während er vorher durchaus zu pompöseren Arrangements neigte.
Wainwrights Stimme ist allerdings so kräftig und gleichzeitig so nuanciert, dass sie das mit Leichtigkeit auffängt. Ein Höhepunkt des Albums sind drei Shakespeare-Sonette, die Wainwright vertont hat. Im Vortrag auf der Bühne bilden sie eine Art retardierendes Moment: Augenblicke der Hoffnung, bevor sich das Auge für immer schließt. Das geschieht mit den finalen Akkorden von "Zebulon", dem letzten Lied des ersten Teils. Sie erinnern an das Läuten von Totenglocken - die Messe ist beendet. Wainwright erhebt sich bedächtig und verlässt die Bühne mit ebenso majestätischem Schritt, wie er sie betrat. Das Trauerritual für seine Mutter, das er sich auferlegt hat, ist absolviert. Es darf wieder gelacht werden.
Zum zweiten Teil schlendert Wainwright auf die Bühne. Sein schüchternes Winken ins Publikum wirkt fast entschuldigend. Ihm ist anzumerken, dass mit dem ersten Teil Anspannung von ihm abgefallen ist. Die Augen hinter Wainwright sind verschwunden. Dafür gehört der zweite Teil ganz dem Entertainer Wainwright. Mit Charme und Witz unterhält er sein Publikum und spielt die bekanntesten Songs seiner anderen fünf Alben - von "Matinee Idol" bis "Cigarettes and Chocolate Milk".
Dazwischen schwatzt er darauf los, dass es die reine Freude ist: Lady Gaga würde er gerne - obwohl er sie bewundert - samt Outfits in den Vulkan Eyjafjallajökull werfen, der Teufel ist ein Österreicher, und es sei so schön typisch deutsch, dass im ersten Teil tatsächlich kein einziges Klatschen zu hören gewesen ist. Außerdem empfiehlt er ausdrücklich das musikalische Werk seiner ganzen Familie: vom Vater Loudon Wainwright III bis zur jüngsten Schwester Lucy Wainwright Roche, die dieses Jahr ihr Debütalbum veröffentlichen wird.
Leider überträgt sich Wainwrights Lockerheit auch auf sein Spiel. Er wirkt unkonzentriert und muss einige Songs mehrmals beginnen. Dem Publikum ist es einerlei, durch das gemeinsame Durchleben des ersten Teils scheint ein Band zwischen dem Künstler und seinen Zuhörern geknüpft zu sein.
Am Ende würdigt er seine Mutter noch einmal. Als allerletzte Zugabe singt er den von ihr geschriebenen "Walking Song". Danach erhebt sich das Publikum: Es applaudiert frenetisch.
ELIAS KREUZMAIR
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