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Archiv-Artikel

Rückkehrer und Pioniere

FRANKFURTER SCHULE Dem Aufbau, der Zerstörung und der neuerlichen Förderung des Instituts für Sozialforschung und seiner Mitarbeiter ist eine Ausstellung gewidmet

Der Aufstieg des Instituts ging einher mit der schnellen Anerkennung Horkheimers, der 1950 Dekan wurde

VON RUDOLF WALTHER

Das Jüdischen Museum in Frankfurt zeigt derzeit die Geschichte des Überlebens der Frankfurter Schule im schweizerischen und amerikanischen Exil sowie die Rückkehr der Exilierten ins zerstörte Frankfurt. Das 1924 gegründete „Institut für Sozialforschung“ – zunächst von Carl Grünberg, ab 1931 von Max Horkheimer geleitet – lebte finanziell von einer Stiftung des Industriellensohnes Felix Weil. Die am Institut Lehrenden wurden 1933 entlassen und das Vermögen konfisziert. Das Stiftungskapital litt durch die Weltwirtschaftskrise, so dass es bei Kriegsende arg geschrumpft war. Der Luftkrieg zerstörte das Institutsgebäude fast völlig. Als Max Horkheimer im April 1948 nach Frankfurt reiste, um die Chancen einer Rückkehr des Instituts zu erkunden, traf er auf Fakultätskollegen, die ihn erschreckten: „Die Brüder sitzen noch genauso da und machen ihre heimtückischen kleinen Schelmenstreiche wie vor dem dritten Reich (und unter ihm), als ob nichts geschehen wäre.“

Zur Wiedergutmachung verpflichtet

Doch die Stadt Frankfurt mit Oberbürgermeister Walter Kolb und Bürgermeister Walter Leiske sowie das Land Hessen mit dem CDU-Minister Erwin Stein standen zu ihrer „Wiedergutmachungspflicht“ (Leiske).

Max Horkheimer wurde bereits im Juli 1949 zum ordentlichen Professor ernannt. Nacheinander berief die Universität Frankfurt auch den Ökonomen Friedrich Pollock (1894–1970) und den Philosophen Theodor W. Adorno (1903–1969) als außerordentliche bzw. ordentliche Professoren. Der Soziologe Leo Löwenthal (1900–1993) und der Philosoph Herbert Marcuse (1898–1979) blieben in den USA.

Mit Geldern der Stadt Frankfurt, des Landes Hessen und vor allem des US-Hochkommissars John Jay McCloy, der 236.000 DM aufbrachte, konnte ein neues Institutsgebäude gebaut und 1951 eingeweiht werden. Die Betriebskosten tragen seither zu je einem Drittel das Land, die Stadt Frankfurt und die Stiftung.

Die Ausstellung dokumentiert diese Geschichte der Rückkehr übersichtlich mit Bild- und Tondokumenten sowie mit den Lebensläufen der wichtigsten Mitarbeiter. Zusammen mit den zum Teil hervorragenden Katalogbeiträgen wird die Geschichte des Instituts und seiner Mitarbeiter präzis dargestellt.

Meisterwerk mit Lochkarten

Mit der 1951 begonnenen und 1955 abgeschlossenen „Gruppenstudie“ machte sich das Institut in der empirischen Sozialforschung schnell einen Namen.

Der Kölner Soziologe Helmut König sprach von einem „kleinen Meisterwerk“: Erstmals in Deutschland wurden Gruppendiskussionen als Grundlage für die Datenerhebung erfasst und mit einem raffinierten Lochkartensystem ausgewertet. Ausgangspunkt für die Erhebung war ein fingierter Brief eines Amerikaners über positive und negative Eigenschaften des „normalen Deutschen“. Darüber sollten sich die 1.800 Probanden in Gruppen unter Anleitung von Meinungsforschern unterhalten. Aus den Antworten konnten die dreißig Forscher Tendenzen zu Antisemitismus, Autoritarismus, Rassismus, Diktatur- und Propagandaanfälligkeit statistisch einwandfrei registrieren. Die Ergebnisse der „experimentellen Pionierarbeit“ waren zum Teil so, dass sie der Öffentlichkeit nur „abwägend“ und „tendenziell abgemildert“ (Stefan Locher) präsentiert werden konnten, denn man wollte die festgestellten mentalen Tendenzen bei den Nachkriegsdeutschen – „Misstrauen gegen die Demokratie“ und „Militarisierung“ – natürlich nicht verstärken.

Der Aufstieg des Instituts ging einher mit der schnellen Anerkennung Horkheimers. Bereits 1950 wurde er Dekan der Philosophischen Fakultät, ein Jahr später Rektor der Universität. 1953 erhielt er die Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt, 1960 die Auszeichnung zum „Ehrenbürger“. Viele Mitarbeiter des Instituts waren jüdischer Herkunft. Für Leo Löwenthal, der aus einem liberalen Elternhaus stammte, wie für Erich Fromm, dessen Eltern orthodox waren, erlosch dieser Einfluss wie jener des gemeinsamen Lehrers Nehemias Anton Nobel nach dessen Tod 1922. Fromm sagte sich 1926 vom Judentum los. Eine Ausnahme bildet Max Horkheimer, der 1951 der kleinen jüdischen Gemeinde Frankfurt beitrat, aber zeitlebens nur sporadisch am Gemeindeleben teilnahm. Von 1956 an kümmerte er sich jedoch elf Jahre lang um die Loeb-Lectures, die namhafte Forscher aus der ganzen Welt nach Frankfurt brachten. Der Titel der Gastvorlesungen „Geschichte, Philosophie und Religion des Judentums“ verwies auf Horkheimers Verständnis des Judentums. Er sah dieses nicht primär als Religion, sondern vielmehr als „geistige Realität“ (Zvi Rosen) von großer geschichtlicher, kultureller und philosophischer Reichweite. Deshalb ist es auch verständlich, dass die Schüler Horkheimers und Adornos ihre Lehrer zwar als ins Exil Vertriebene, aber nicht als Juden wahrnahmen.

Am meisten zur Wirkung und zum Ruf der Frankfurter Schule trug sicher Adorno bei. Und zwar durch etwas, was er paradoxerweise auch als Gefahr sah: die mediale Präsenz. Wie keiner kritisierte Adorno die Kommerzialisierung der Kultur zur „Kulturindustrie“. Gleichzeitig bediente sich niemand des Fernsehens, des Radios und anderer öffentlicher Auftritte so häufig und so virtuos wie Adorno. Michael Schwarz vom Adorno-Archiv zählte über 600 Bild- und Tondokumente und geht davon aus, dass Adorno „fast jede Woche irgendwo zu hören“ war. Eine solche Medienpräsenz hatte und hat kein anderer deutscher Intellektueller je erreicht.

■ Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Jüdisches Museum Frankfurt. Bis 10. Januar. Katalog 24,90 €