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Archiv-Artikel

FRANKREICHS WAHL AM SONNTAG IST AUCH EIN ABSCHIED VON 1968 Rückkehr der Werte

Wenn die FranzösInnen am Sonntag wählen, werden sie eine komplette Generation für ihre Staatsspitze überschlagen. Paradoxerweise handelt es sich dabei ausgerechnet um jene Generation der letzten Jahrhunderthälfte, die am politischsten war. Am umstürzlerischsten. Um Leute, die in ihrer Jugend mehr politische Tabus zu Fall gebracht haben als ihre Vor- und Nachfahren zusammen.

An den 68erInnen ist das höchste Amt in Frankreich für immer vorbeigegangen. Der einzige aussichtsreiche Bewerber, der aus ihrer Mitte hervorging, war Lionel Jospin. Er war in seiner Jugend Trotzkist, später Sozialist und beendete seine politische Karriere im Jahr 2002, als er schon im ersten Durchgang an dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen scheiterte.

Die beiden KandidatInnen, die am Sonntag antreten, gingen im Frühling 1968 noch in die Schule. Doch sie markieren nicht nur wegen ihres Alters eine Kehrtwende, sondern auch wegen ihrer zur Schau getragenen politischen Werte. Beide schicken sich an, das Erbe ihrer Altvorderen über Bord zu werfen. Sowohl die Sozialdemokratin Ségolène Royal als auch der Rechte Nicolas Sarkozy treten für die Restauration von staatlichen, schulischen und familiären Werten und Autoritäten ein. Sie sprechen von einer Erneuerung der Moral. Von der Wiederherstellung der elterlichen Autorität. Und – im Fall der Sozialdemokratin Royal – sogar von der Einbeziehung von Militärs in die Umerziehung von straffällig gewordenen Jugendlichen.

Der Wahlkampf der letzten Monate und das Duell am Mittwoch markieren die Abkehr von den libertären Prinzipien von 68, die jahrzehntelang Frankreich geprägt haben. Sie markieren eine politische Bewegung nach rechts. Eine Abkehr von den ewigen Jugendlichen des Mai 68. Die Vorbilder der beiden KandidatInnen auf den Élysée-Palast kommen nicht aus Paris, sondern von der anderen Seite des Ärmelkanals. Beide berufen sich auf Tony Blair. Aber zumindest bei einem von ihnen, ist die Anleihe – gerade bei der Arbeitsmarktpolitik – älter, als er es offen zugibt. Das Vorbild von Sarkozy ist Margaret Thatcher. DOROTHEA HAHN