Rückkauf der Energienetze: Vattenfall verkauft sich zu teuer
Ein Volksbegehren fordert die Rekommunalisierung des Berliner Stromnetzes. Das kostet bis zu drei Milliarden Euro, sagt der Senat - weil er dem Betreiber blind glaubt.
Am gestrigen Dienstag hat das Bündnis Berliner Energietisch mit der Unterschriftensammlung für ein neues Volksbegehren begonnen. Das Ziel: eigene Stadtwerke und die Rekommunalisierung des Stromnetzes (taz berichtete). Jetzt gibt es Streit um eine zentrale Frage: Wie viel würde es das Land kosten, das Netz von Vattenfall zurückzukaufen?
Auf den Unterschriftenlisten des Energietischs stehen zwei Zahlen. Einmal der Kaufpreis, den die Initiative veranschlagt: 400 Millionen Euro. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft gibt als Kostenschätzung hingegen 2 bis 3 Milliarden Euro an. Ein enormer Unterschied.
Pikant dabei: Die Wirtschaftsverwaltung hat gar keine eigene Schätzung gemacht. „Der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung liegen derzeit keine eigenen Datengrundlagen über den Wert des Berliner Stromnetzes vor“, erklärte ihr Sprecher am Dienstag gegenüber der taz. Man habe einfach Vattenfall nach dem Preis gefragt.
Der Berliner Energietisch besteht aus zwei Dutzend Organisationen und Initiativen. Er will erreichen, dass Berlin das Stromnetz von Vattenfall zurückkauft. Zudem soll das Land eigene Stadtwerke gründen, die sozial und ökologisch ausgerichtet sind.
Bis Ende Juni sollen 20.000 Unterschriften gesammelt werden. Damit wäre das Volksbegehren formal eingeleitet.
In einer zweiten Stufe braucht es 170.000 Unterstützer, dann kommt der Volksentscheid - wenn nicht das Gesetz vorher vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wird. Angepeilt ist Herbst 2013.
Mehr Informationen zum neuen Volksbegehren: berliner-energietisch.net. (se)
Die Senatsverwaltung distanzierte sich zugleich ausdrücklich von einem Gutachten, das kurz vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus im vergangenen Herbst angefertigt wurde – noch im Auftrag des rot-roten Senats. Dieses Gutachten kommt – je nach Berechnung – auf einen Wert zwischen 261 und 370 Millionen Euro. Dabei schrieben die Gutachter selbst, dass ihnen nicht alle erforderlichen Daten zur Verfügung stünden und sie deshalb oft auf Schätzungen hätten zurückgreifen müssen. Aus diesem Grund halten sowohl die jetzige Senatsverwaltung als auch Vattenfall das Gutachten als für wenig aussagekräftig.
Dennoch ist es bislang die einzige unabhängige Kostenschätzung, die es gibt. In der veröffentlichten Bekanntmachung über das Auslaufen der Stromnetzkonzession kündigte der Senat in Bezug auf das Stromnetz an, „strategische Handlungsoptionen (…) bis hin zu einem vollumfänglichen Erwerb durch das Land Berlin“ zu prüfen. Bislang sind aber keine eigenen Gutachten in Auftrag gegeben worden. Wann das geschehen werde, konnte der Sprecher der Wirtschaftsverwaltung nicht sagen.
Rund drei Milliarden Euro gibt Vattenfall als Wert des Berliner Stromnetzes an. Dabei handelt es sich um den „Sachzeitwert“ – den Betrag, der nötig wäre, das Netz in seinem jetzigen Zustand neu zu errichten. Auf Nachfrage sagte Vattenfall-Sprecher Hannes Hönemann, dieser Betrag sei lediglich als Basis zu verstehen, aus der sich der Kaufpreis ergebe. Genauere Angaben wollte er nicht machen.
Der Sachzeitwert ist aber nicht der einzige, auf den es bei der Preisermittlung ankommt. Denn der Bundesgerichtshof (BGH) hat in der sogenannten Kaufering-Entscheidung 1999 geurteilt, der Sachzeitwert sei nur wirksam, wenn er den sogenannten Ertragswert nicht erheblich übersteige. In der Praxis heißt das: „Es darf nicht mehr gezahlt werden, als das Netz erwirtschaften kann“, erklärt Wolfgang Zander von der Firma BET in Aachen, die Kommunen bei der Rekommunalisierung berät.
Der Ertragswert, von dem im BGH-Urteil die Rede ist, leitet sich vom „kalkulatorischen Restwert“ ab: Dieser Wert ist die Basis dafür, welche Netzentgelte der Betreiber von den Stromerzeugern verlangen kann. Den kalkulatorischen Restwert meldet Vattenfall – wie die anderen Netzbetreiber – an die Bundesnetzagentur. Veröffentlicht wird er nicht.
Stefan Taschner vom Energietisch ärgert sich, dass jetzt ein so hoher Kaufpreis im Raum steht. „Vattenfall spielt mit der Angst der Bürger“, sagt er. Und: „Dass die Wirtschaftsverwaltung die Zahlen unkritisch übernimmt, ist ein Skandal.“ Daniel Buchholz, energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fordert Vattenfall auf, alle wichtigen Daten offenzulegen. Nur so könne man das Thema Netzrückkauf ernsthaft diskutieren. Notfalls, so Buchholz, müsse man die Herausgabe vor Gericht einklagen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“
Koalitionsvertrag in Brandenburg steht
Denkbar knappste Mehrheit