Rückkauf der Energienetze: Keine Katze im Sack kaufen
Grüne werfen dem Senat vor, er habe die Netzgesellschaften nicht genügend geprüft, bevor er sich einkaufte. Die Finanzbehörde nennt den Vorwurf haltlos.
Die Grünen unterstellen dem SPD-Senat, er habe sich von Vattenfall und Eon Hanse über den Tisch ziehen lassen. Als er mit den Energiekonzernen über den Rückkauf von 25,1 Prozent der Energienetze verhandelte, habe er sich internen Unterlagen zufolge mit unbrauchbaren Informationen abspeisen lassen. Fraktionschef Jens Kerstan fordert deshalb „eine sofortige Offenlegung der Angaben zur Überprüfung durch externe Experten“.
Über eine Klage der Volksinitiative für einen Netzrückkauf auf Akteneinsicht will das Verwaltungsgericht noch in dieser Woche entscheiden. Die Finanzbehörde wies die Vorwürfe unter Verweis auf Bürgerschaftsdokumente zurück.
Kerstan stützt sich mit seiner Kritik auf den Spiegel. Das Nachrichtenmagazin zitiert Vermerke, in denen sich Behördenmitarbeiter unzufrieden mit den vorgelegten Unterlagen äußern: „Anlagenzustand lässt sich aus vorhandenem Material schwer ableiten“, heiße es darin über die Akten zum Fernwärmenetz. Es fehlten Angaben zu Investitionen und Instandhaltung. Die Informationen seien „schwer, kaum oder gar nicht verwertbar“. Zur Prüfung hätten bloß 28 Aktenordner vorgelegen, schreibt der Spiegel. Üblich sei bei Geschäften dieser Größenordnung das Zehnfache und mehr.
Am 22. September entscheiden die HamburgerInnen darüber, ob die Stadt die Versorgungsnetze für Strom, Gas und Fernwärme zurückkaufen muss.
Kompromiss: Um der Volksinitiative den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist ihr Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) entgegen gekommen und hat 25,1 Prozent der Netze zurückgekauft.
Der Preis: Ein Argument der Rückkauf-Gegner ist der Preis für die Netze. Für 25,1 Prozent hat der Senat 540 Millionen Euro bezahlt. Hochgerechnet auf 100 Prozent wäre mit einem Kaufpreis von fast 2,2 Milliarden Euro zu rechnen.
Die Kritik: Die Volksinitiative "Unser Hamburg - unser Netz" vermutet, das sei zu hoch gegriffen. Sie möchte selbst nachrechnen können und hat deshalb auf Akteneinsicht geklagt.
„Das ist frei erfunden“, sagt Finanzbehörden-Sprecher Daniel Stricker. Der Vergleich sei willkürlich. Und die zitierten Vermerke bezögen sich auf einen Zwischenstand im Prüfungsverfahren. Der Spiegel habe diesen herausgegriffen und behaupte, daraus den Endstand der Prüfungen herleiten zu können. Das erwecke einen falschen Eindruck.
Tatsächlich hat der Senat in mehreren Antworten an die Bürgerschaft ausgeführt, wie der Wert und die rechtliche Konstruktion der 25,1-Prozent-Beteiligung geprüft wurden. Demnach legten die Unternehmen insgesamt rund 1.000 Dokumente vor: Zertifikate, Gutachten, Revisionspläne. Vier Mitarbeiter von Behörden und der städtischen Vermögensholding HGV sowie 16 externe Berater von der Anwaltskanzlei Allen&Overy LLP, der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse-Coopers und der Commerzbank beschäftigten sich damit – in der Summe 249 Arbeitstage lang. Immer wieder hätten die Prüfer weitere Unterlagen gefordert, die von den Firmen nachgereicht worden seien.
Behördensprecher Stricker weist darauf hin, dass der Senat frühzeitig alle Verträge und wesentlichen Gutachten zum Netzkauf im Internet veröffentlicht habe. Darüber hinaus hätten die Bürgerschaftsabgeordneten die Bewertungsgutachten einsehen könnten. „Dieses musste vertraulich erfolgen, weil die Bewertungsunterlagen sensible Betriebs und Geschäftsgeheimnisse der Unternehmen Eon und Vattenfall beinhalten“, sagt er.
Den Grünen reicht das nicht. Sie wollen, dass ein von ihnen beauftragter Energierechtsexperte Akteneinsicht erhält. „Bisher wird dem Mitarbeiter aus fadenscheinigen Gründen der Zutritt zum Datenraum verweigert“, kritisieren sie.
Auch den Antrag der Volksinitiative „Unser Hamburg – unser Netz“ auf Akteneinsicht hat die Finanzbehörde abgelehnt. Die maßgeblichen Informationen habe der Senat bereits umfänglich veröffentlicht. Beim Rest überwiege das Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen das Informationsinteresse der Initiative. Bis Ende der Woche will das Verwaltungsgericht mitteilen, ob es das genauso sieht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen