: Rückgrat fürs Unternehmen
Rückenschulung im Betrieb: Ein Coach kann auch am Arbeitsplatz für die richtige Haltung sorgen. Wird das Training in den Betrieb geholt, trägt dies zur Steigerung der Arbeitsproduktivität bei
Heute ist Simone P. besonders pünktlich im Büro. Doch ihren Computer würdigt sie zunächst keines Blicks, und auch die Kaffeetasse bleibt vorerst leer. Sie begibt sich in die nächste Etage – und dort direkt auf eine Bodenmatte. Neben ihr liegen zehn Kolleginnen und Kollegen, die es sich bereits bequem gemacht haben. Eine Stunde lang werden die sonst vorwiegend am Schreibtisch sitzenden Mitarbeiter eines kleineren mittelständischen Betriebs nun den Anweisungen und Ratschlägen ihrer Rückentrainerin folgen.
Die verlangt zum Einstieg zunächst, dass alle „ihren Atem fließen lassen und so beim eigenen Körper ankommen“. Der wird anschließend „mit Schüttelübungen geweckt und mit Kraftübungen für Arme, Rücken, Bauch, Beine und Po gestärkt“, erklärt Lydia Nadia Schildge, Gymnastiklehrerin und Psychologin. Um das Programm komplett zu machen, werden die Muskeln gedehnt und wird schließlich der ganze Körper wieder entspannt. Bevor es dann an den Schreibtisch zurückgeht, werden alle Teilnehmer mit einem kurzen Kreislauftraining wach gemacht und aus der auch geistigen Entspannung geholt.
Die in Betrieben durchgeführten Rückenschulkurse, wie sie etwa „Gesundheitskompetenz“ in Berlin anbietet, berücksichtigen neben den körperlichen Ursachen von kranken Rücken – einem der Hauptgründe für Krankschreibungen hierzulande – auch psychische Gründe für Verspannungen.
Prinzipiell sollte, wen der Rücken plagt, nicht in krampfhafte Starre verfallen. Auch Spritzen und Bestrahlungen sind bestenfalls dazu geeignet, akute Leidensphasen vorübergehend erträglich zu machen, ändern aber nichts am Problem selbst. Ein geschwächter Rücken tut weh. Ein verspannter und verkrampfter Rücken auch. Um gute Vorsätze, wenn es darum geht, das zu ändern, ist kaum einer verlegen. Doch hapert es meist an der Umsetzung.
Wird die Rückenschule in den Betrieb und an den Arbeitsplatz geholt, ist das nicht nur ein niedrigschwelliges Angebot an bequeme Arbeitnehmer, sondern letztlich auch eine Maßnahme zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Die betriebliche Nähe des Angebots ist wichtig, um den Mitarbeitern zusätzliche Wege zu ersparen: Sie müssen sich nicht nach Feierabend noch einmal aufraffen und womöglich weite Wege mit Auto und Bus zurücklegen, sondern können direkt vom Arbeitsplatz aus zum Rückentraining gehen.
Wie die Trainingsstunden finanziert und gestaltet werden, dafür gibt es verschiedene Modelle. Entweder der Betrieb übernimmt die Kosten komplett, oder er stellt Räumlichkeiten und Arbeitszeit zur Verfügung. Der Betrieb kann die Kosten sogar übernehmen, ohne dass dies für die Arbeitnehmer finanzielle Einbußen bedeutet, weil sie diese Leistung als so genannten geldwerten Vorteil versteuern müssten. Dies war eine Weile strittig, bis der Bundesfinanzhof gegen ein entsprechendes Ansinnen eines Finanzgerichts und zugunsten der auf Unternehmenskosten massierten Mitarbeiter entschied (siehe auch den Beitrag unten). Matten und Materialien bringen meist die Anbieter mit, für bequeme Kleidung muss jeder selbst sorgen. Lydia Nadia Schildge weist jedoch darauf hin, dass es sich bei der Rückenschule nicht um einen Sportkurs handelt, man könne also auf die entsprechende „Funktionskleidung“ gut und gern verzichten.
Zusätzlich zum Kurs gibt es bei Gesundheitskompetenz das Angebot, gemeinsam mit dem jeweiligen Mitarbeiter den Arbeitsplatz zu inspizieren und so direkt am Ort des Geschehens den Rückenschädlingen auf die Spur zu kommen. Nicht nur der Lichteinfall, etwaige Verschattungen, die Anordnung von Schreibtisch, Tastatur und Bildschirm, sondern auch andere Faktoren im Raum spielen dabei möglicherweise eine Rolle.
Wer selbst ein solches Angebot in den Betrieb holen möchte, sollte zunächst nach Gleichgesinnten suchen. Personalabteilung, betriebsärztlicher Dienst oder Betriebsrat sind hilfreiche Partner bei der Suche nach geeigneten Anbietern und dem Abstecken eines möglichen Rahmens. Bei Gesundheitskompetenz kostet eine Kursstunde mit maximal fünfzehn Teilnehmern etwa 70 Euro, empfohlen wird ein Zyklus von insgesamt zehn Stunden. Einige Krankenkassen erkennen die Kurse als Gesundheitsvorsorge an und übernehmen einen Teil der Kosten. Deshalb lohnt es sich, bei der eigenen Kasse nachzufragen, wenn der Betrieb die Kosten für die Ertüchtigung geschwächter Rücken nicht übernimmt.
Trotz aller Vorteile ist die betriebliche Rückenschule jedoch eher der Einstieg für Leute, die generell gewillt sind, etwas für sich und ihren Rücken zu tun. Um den Rücken schnellstmöglich zu kräftigen, sollte man dreimal pro Woche jeweils 30 Minuten lang trainieren. Aber auch eine Stunde Rückenschule pro Woche sei schon sinnvoll, wenn man daran denke, zu Hause weiterzuüben, so die Expertin.
Wichtig sei vor allem, sich der Problematik bewusst zu werden, Anregungen für richtiges Sitzen, Stehen, Telefonieren und Heben auch in den Alltag aufzunehmen. Lydia Schildge versteht die betriebliche Gesundheitsförderung denn auch eher als Schnupperangebot, dem Gesundheitsbewusste dann oft eine Anmeldung im Fitnessstudio folgen ließen. KATHARINA JABRANE