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RückblickDie Äh-ra Stoiber

Wie Edmund Stoiber einst die Nackten jagen wollte, mit welchen Tricks er seinem Chef Franz Josef Strauß Unterschriften abnötigte und warum der scheidende CSU-Chef wohl nie verstehen wird.

Wo sind all die Stunden hin? Wo sind sie geblieben? Bild: dpa

Vieles, was Edmund Stoiber in diesen Wochen macht, macht er zum letzten Mal. Letzter Gesetzentwurf (zur Verschärfung der Strafen gegen Gotteslästerung). Letzte Visite in Niederbayern, wo ihm Erwin Huber, nicht unbeteiligt am dramatischen Niedergang, dankt bis zum Abwinken. Letzte Kabinettssitzung. Letzte Auslandsreise als Politiker (zu Nicolas Sarkozy). Letzter Parteitag, letzte Rede als CSU-Parteichef. Sein Double vom jährlichen Starkbierfest auf dem Münchner Nockherberg, Michael Lerchenberg, ist schon zurückgetreten. Er macht künftig dort den Fastenprediger. Ein Stoiber-Doppelgänger ist nicht mehr gefragt.

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Nicht einmal das Original. Die Paulaner-Brauerei, für die Stoiber jahrzehntelang das Zugpferd des "Politikerderbleckens" war, lässt verlauten, es sei keineswegs sicher, dass man Stoiber im nächsten Jahr überhaupt noch einladen werde. Er habe ja gar kein Amt mehr, und man verfüge nur über knapp 600 Plätze. So ist er, der bayerische Biersieder: Erst musst du dich 30 Jahre lang herfotzen lassen, und dann darfst du nicht einmal mehr zuschauen, wenn die anderen dran sind.

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Am Anfang seiner Karriere bemüht sich Stoiber verzweifelt um politisches Profil. In einem seiner ersten Parlamentsanträge von damals wendet er sich "massivst" (O-Ton Stoiber) gegen Nacktbader am Isarstrand im heimatlichen Stimmkreis Bad Tölz/Wolfratshausen. Die "Dreckbären" stören den "bleichen Landvogt" (Kurt Kister in der Süddeutschen Zeitung), weil sie "die Landschaft zerstören". Man könne da "nicht mehr mit Hose, also normal, baden". Daraus wird die Landtagsdrucksache 6685. Innenstaatssekretär Erich Kiesl lässt Stoiber, der massive Polizeieinsätze fordert, abblitzen: Die Polizei habe Wichtigeres zu tun, als Nackte zu jagen, die sich der Personenkontrolle durch einen Sprung ins Wasser entzögen, "wohin ihnen die Polizei kaum folgen kann". Zudem seien die Textilfreien "gewaltig in der Überzahl".

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Anekdotisches über Stoiber beruht meistens darauf, dass er etwas ernst meinte, es aber lustig oder peinlich ausging. Gut, er hat 1999 seinen Freund und Justizminister Alfred Sauter am Handy entlassen, das war schon ziemlich stark. Sein Vorbild Franz Josef Strauß konnte aber noch mit zwei Promille Alkohol im Blut besser reden als sein Machtschattengewächs. Die Fähigkeit, sich selbst auf den Arm zu nehmen, fehlte und fehlt ihm völlig. Was an den Äh-Reden zum Transrapid oder zum Bären Bruno lustig sein soll, versteht Stoiber heute noch nicht.

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Man konnte aber am Anfang seiner Laufbahn angenehm mit ihm parlieren. Über Fußball sowieso. Aber auch über Familienpolitik. Da klang er wie ein verkappter Sozi und fand seine Partei verzopft. Es gab das Gerücht, dass Stoiber als Student mit der SPD sympathisiert habe, bei der CSU aber mehr Chancen sah. Später, als er schon Ministerpräsident und von Mitgliedern seiner Boygroup - prominentestes und seriösestes Mitglied: Angela Merkels Regierungssprecher Ulrich Wilhelm - abgeschirmt wurde, verlor sich die Leutseligkeit im Umgang mit Journalisten. Da konnte es passieren, dass er seine Beamten warnte, wenn er sie im Gespräch mit einem Pressemann entdeckte: "Geh, mit dem brauchts nimmer zu reden, bei dem hat es keinen Sinn." War nicht bös gemeint, reichte aber, um seine Subalternen erstarren zu lassen. Zum Schluss seiner Amtszeit kam die journalistische Annäherung an Stoibers Staatskanzlei dem Versuch gleich, von der nordkoreanischen Botschaft Auskunft über den Stand der dortigen atomaren Aufrüstung zu erheischen.

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Im Freundeskreis von Franz Josef Strauß, der als "Franzensclub" gelegentlich mit dem Boss auf alkoholgeschwängerte, bumsfidele Reisen ging, war dessen Ziehsohn Stoiber nicht beliebt. Franz Schönhuber, Clubmitglied, bis er zum Rechtsextremisten mutierte, berichtete, der Asket sei als überaus störend empfunden worden, weil er Strauß unentwegt Akten apportierte und Unterschriften haben wollte. Einer der Tricks Stoibers, Strauß eine Unterschrift abzuluchsen, bestand darin, dass er sich in die Regierungslimousine des Chefs setzte, darauf wartete, dass Strauß weggefahren wurde, und so lange im Auto blieb, bis er hatte, was er brauchte.

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Aus einer Staatskanzlei-Runde, an der auch der schillernde Strauß-Amigo und Steuersünder Edi Zwick, Kurarzt und Thermenbesitzer aus Niederbayern, teilnahm, ist überliefert, dass man den Ort wechseln wollte, um ein bisschen zu feiern. Aber ohne Stoiber. Strauß soll gesagt haben: "Der Edmund bleibt da. Der frisst ned, der sauft ned, der vögelt ned." Stoiber, immer seine Karriere, aber auch preußische Pflichterfüllung im Sinn, trug all das klaglos. Sein erster Gang nach seiner Wahl zum bayerischen Ministerpräsidenten 1993 führte ihn zum Strauß-Grab nach Rott am Inn. Er war aber auch der erste CSU-Spitzenpolitiker, der 1993 intern eine brachiale Abkehr vom Amigo-System Strauß forderte, dessen Teilnehmer er selbst gewesen war. Theo Waigel, weiß Gott kein Strauß-Knecht, hielt Stoiber von öffentlichen Forderungen mit dem Hinweis ab, das würde die CSU sprengen.

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Statt Pensionär könnte Stoiber längst das sein, was Peer Steinbrück jetzt ist: unangefochtener Bundesfinanzminister. Wie Strauß zeichnet Stoiber zwar eine beträchtliche Sturheit aus, wenn er sich auf der sicheren Seite wähnt. Wenn aber eine Sache risikobehaftet ist, zeigt er sich zögerlich. So kam es zu einer politischen Komödie, die Stoiber Amt, Kopf und Kragen kostete. Er hatte im Sommer 2005 das Angebot der Unionskanzlerin Angela Merkel, als Schatten-Finanzminister in ihre Mannschaft zu gehen. Populär war das damals nicht und deshalb nichts für den gnadenlosen Populisten. Die Steuereinnahmen stagnierten, eine Mehrwertsteuererhöhung stand an. Stoiber winkte ab, ein gewisser Professor Kirchhoff übernahm den Schattenjob und ritt die Union tief in den Schlamm. Das kostete Prozentpunkte. Stoiber könnte heute dastehen wie sein eigenes Denkmal, auf dem geschrieben steht: "Erst hat er Bayern saniert, dann Deutschland". Stattdessen wurde er infolge der Flucht aus Berlin in den Rücktritt getrieben und musste sich zum Schluss anstellen für einen ehrenamtlichen Minijob in Brüssel. So schmal ist der Grat zwischen Aufstieg und Absturz. Bei der Bundestagswahl 2002 hat er das schon einmal erfahren müssen.

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Hat Stoiber jetzt noch vor, "den eigenen Leuten gewaltig auf den Keks zu gehen" (Waltraud Taschner in der Bayerischen Staatszeitung)? Oder kommt tiefer Frieden über ihn? 70 Prozent der Bayern glauben, dass er gute Arbeit geleistet hat, das sind immerhin 15 Prozent mehr, als der CSU derzeit in Umfragen zugetraut werden. Irgendwie wird wird er weiter mitmischen. Eine noble Bürosuite in bester Münchner Lage mit 13 Zimmern und etliche Planstellen hat er sich für den Austrag schon mal gesichert. Das ist für einen Ex in Bayern so üblich.

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Zunächst hat Stoiber dafür gesorgt, dass die CSU den Umbruch einigermaßen gelassen angehen kann. Das war ziemlich nobel, denn wie er im Januar bei der CSU-Winterklausur in Wildbad Kreuth gestürzt wurde, war nicht die feine Art. In besseren Tagen hätte er mit einer dramatischen Hinwendung an das Parteivolk den Putschisten Beckstein und Huber und der gesamten CSU gezeigt, wo der Bayernhammer hängt. Die darauf folgende Krise kann man sich gar nicht grässlich genug ausmalen.

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Jetzt, wo alles bald vorbei ist, wirkt Stoiber äußerlich gelöst und gelassen. Sieht man ihn aus der Nähe, merkt man, dass die Furchen im Gesicht noch tiefer geworden sind. Stoiber hat schon als Kind gelernt, Schläge klaglos auszuhalten. Der Schmerz über das ruhmlose, nicht von ihm selbst herbeigeführte Ende sitzt tief. Künftig wird die CSU auf ihn achten, ihn nicht reizen, ihn scheinheilig um Rat fragen und dann machen, was sie will. Aber wehe seinen Erben, wenn sie den Erfolg verspielen, den Stoiber zuletzt 2003 in Bayern hatte: Zweidrittelmehrheit im Parlament, über 60 Prozent Wählerstimmen. Dann könnte sich ein Strauß-Wort bewahrheiten, das auf einen anderen gemünzt war: "Den sind wir so schnell nicht los. Mit dem werden wir noch Spaß haben."

Unser Autor Michael Stiller hat Edmund Stoiber über viele Jahre für die Süddeutsche Zeitung kritisch begleitet und beochbachtet.

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