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Ruanda-Völkermordprozess in Frankfurt: Tag 3Krieg um die Gutachter

Am 3. Verhandlungstag gegen den ruandischen Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe lehnt das OLG Frankfurt einen der beiden Sachverständigen wegen Befangenheit ab.

Angeklagt wegen Völkermordes: Onesphore Rwabukombe. Bild: dpa

Im Völkermordprozess gegen den ehemaligen ruandischen Bürgermeister Onesphore Rwabukombe vor dem Oberlandesgericht Frankfurt hat es am dritten Verhandlungstag am 9. Februar eine entscheidende Wendungen gegeben. Das Gericht lehnte auf Antrag der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage den von der Verteidigung als Sachverständigen vorgeschlagenen Helmut Strizek wegen Befangenheit ab. Außerdem wurde der verbliebene Sachverständige Gerd Hankel, der dem Gericht Ruanda und den Völkermord erklären soll, mit einem weiteren Gutachten beauftragt.

Was nach Verwaltungsakt klingt, war eine grundlegende Weichenstellung und wurde vor Gericht auch so wahrgenommen. Helmut Strizek, Autor mehrerer Publikationen über das Afrika der Großen Seen, ist durch seine kontroversen Stellungnahmen zum ruandischen Völkermord berüchtigt.

Er hält den ruandischen Genozid, bei dem zwischen April und Juli 1994 bei der versuchten Ausrottung aller Tutsi Ruandas über 800.000 Menschen von Hutu-Militär und Hutu-Milizen ermordet wurde, für ein Ereignis, das nicht von der damaligen Hutu-Staatsmacht zu verantworten ist, sondern letztendlich von den USA und den damaligen ruandischen Tutsi-Rebellen geduldet, wenn nicht gar gesteuert wurde, um dem damaligen ruandischen Tutsi-Rebellenführer und heutigem Präsidenten Paul Kagame die nötige Legitimation zur Machtergreifung und zur Errichtung einer Militärdiktatur zu schenken. Wer dieser Sicht der Dinge widerspricht, läuft Gefahr, von Strizek diffamiert zu werden.

Beim Gerichtsverfahren gegen Onesphore Rwabukombe geht es um die Frage, ob Rwabukombe als Bürgermeister der Gemeinde Muvumba im Norden Ruandas während des Völkermordes für den Tod von mindestens 3.730 Menschen verantwortlich war. Die Anklage wirft ihm vor, drei Massaker an Tutsi "angeordnet und koordiniert" zu haben, "bei denen insgesamt mindestens 3.730 Angehörige der Tutsi-Minderheit getötet wurden". Rwabukombe war nach dem Genozid aus Ruanda geflohen, lebt seit 2002 in Deutschland, wird seit 2007 von Ruandas Justiz und Interpol wegen Teilnahme am Völkermord gesucht und steht seit 18. Januar 2011 vor dem OLG Frankfurt deswegen vor Gericht.

Die Frage, ob die Massaker an Tutsi in Ruanda organisiert und geplant waren - wie es der Konsens der meisten Analysten, Beobachter und Opfer ist - oder nicht, ist also zentral zur Feststellung der Schuld des Angeklagten. Eine Positionierung wie die von Strizek bisher bekannte wäre in diesem Hinblick im Sinne der Verteidigung, und daher hatte sie ihn auch als Sachverständigen vorgeschlagen.

Zum Verhängnis wurde Strizek nun vor allem seine persönliche Nähe zum Angeklagten. Diese Nähe belegte die Bundesanwaltschaft auf der Grundlage abgehörter Telefonate Rwabukombes aus der Zeit zwischen Aufnahme der ersten Ermittlungen gegen ihn und seiner Festnahme. Die Nähe erstreckte sich sogar auf den Austausch von Weihnachtsgeschenken zwischen den Familien Strizek und Rwabukombe. Außerdem hatte Strizek in seinen Publikationen die Aufnahme des Verfahrens gegen Rwabukombe kritisiert. All dies begründet aus Sicht des Gerichts seine Ablehnung aus Gründen der Befangenheit. Ein Sachverständiger muß nach geltendem Recht genauso neutral sein wie ein Richter.

Strizek selbst sieht die Entscheidung zu seiner Ablehnung anders. "Heute haben Sie gewonnen!" schleuderte er dem taz-Berichterstatter entgegen, nachdem das Gericht ihn zurück auf die Publikumsbänke geschickt hatte. "Wir haben es hier mit einem politischen Prozess zu tun, der seinen Namen nicht nennt", erklärte er gegenüber Journalisten und begründete damit sozusagen unfreiwillig, warum man ihn für befangen erklärt hat: Er hält den ganzen Prozess für fragwürdig. Es sei nicht möglich, in Ruanda frei zu ermitteln, sagt Strizek; das sei, als hätte man in der Sowjetunion Stalins 1952 ermitteln wollen. "Kagame ist Stalin, und von dem läßt man sich jetzt die Zeugen liefern", so Strizek.

Als alleiniger Sachverständiger bleibt somit der renommierte Jurist Gerd Hankel vom Hamburger Institut für Sozialforschung übrig, der wie wohl kein zweiter in Deutschland die Vergangenheitsbewältigung in Ruanda persönlich begleitet und bis heute beobachtet. Hankel legte den Richtern ausführlich die Geschichte Ruandas vor und während des Völkermordes dar. Von besonderer Relevanz für das Verfahren: Die Stellung der Bürgermeister im damaligen, extrem hierarchisch strukturierten Ruanda.

Bürgermeister, so Hankel, waren im Ruanda des Genozids die "Vertreter des Präsidenten vor Ort", ernannt auf Vorschlag des Innenministers, "Sprachrohr und Katalysator". Sie kümmerten sich um die Gemeindeverwaltung und den Gemeindehaushalt, sie hatten auch eine juristische Funktion bei der Schlichtung von Grundstücksstreitereien und manchen zivilen Strafsachen, sie waren Vorsitzende der lokalen Gemeindeangestellten, ihnen erstatteten die Gemeinderäte Bericht. Den Bürgermeistern kam während des Völkermordes "eine besondere Stellung bei der Vorbereitung und Durchführung von Massakern" zu: sie mobilisierten die Bevölkerung, sie stellten Infrastruktur für das Morden zur Verfügung und forderten die Menschen zur "Mitarbeit" auf, "mit der Autorität ihres Amtes".

Diese Analyse dürfte zentral für den Fortgang der Verhandlung werden, denn aus Sicht der Verteidigung ist genau diese Macht des Bürgermeisters im Fall Rwabukombe nicht gegeben - und die Anklage muss ihrerseits im konkreten Fall beweisen, daß es sie gab und dass Rwabukombe sie auch ausübte. Sie wird dafür ihre in Ruanda gesammelten Ermittlungsergebnisse präsentieren und auch ruandische Zeugen laden.

Das Gericht hat Hankel nun mit einem weiteren Gutachten beauftragt, das die Strafbarkeit der verhandelten Taten unter ruandischem Recht zum damaligen Zeitpunkt klären soll. Eigentlich findet dieser Prozess unter dem Weltrechtsprinzip statt, das zuletzt mit dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch von 2002 ins deutsche Recht übertragen worden ist; aber offenbar will sich das OLG sicher sein, daß die Verfolgung von Straftaten, die Ruander 1994 in Ruanda an Ruandern begingen, auch dann in Deutschland möglich ist, sollte das Weltrechtsprinzip aus irgendeinem Grund für nicht anwendbar erklärt werden. Das Bestreben des OLG Frankfurt, im Fall Rwabukombe jeden möglichen Revisionsgrund zum frühestmöglichen Zeitpunkt auszuschließen, liegt den beiden Entscheidungen dieses Tages zugrunde.

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6 Kommentare

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  • J
    jaykay

    @ Heirich Pobein

     

    Das Gutachten hat wohl hauptsächlich den Zweck, die Legitimation des Prozesses zu stärken. Dies ist in Anbetracht der stark politisierenden Verteidigerstrategie auch durchaus nachvollziehbar.

     

    Juristisch dürfte das Gutachten für den Prozess bedeutungslos sein. Zum einen dürfte das Ergebnis klar sein. Das ruandische Strafrecht kannte auch 1994 Straftatbestände wie Mord, Totschlag etc. und meines Wissens nach wurde auch nicht versucht, den Völkermord per Gesetzgebung zu legalisieren.

     

    Aber auch unabhängig davon, zu welchem Ergebnis das Gutachten kommt, dürfte dies in diesem Prozess irrelevant sein. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch befindet sich völlig im Einklang sowohl mit dem Grundgesetz als auch mit internationalem Recht, insbesondere dem Rom Statut des IStGH. Von daher dürfte auch keinerlei Zweifel an der Geltung der Weltrechtsprinzips für die in Frage stehenden Verbrechen bestehen,

    Für den (ziemlich unwahrscheinlichen) Fall, dass das Weltrechtsprinzip tatsächlich hier nicht gelten soll, hätte auch die Strafbarkeit der Taten nach damaligem ruandischen Recht keine Bedeutung. Denn dann würde es ja an einem Anknüpfungspunkt für die deutsche Strafgewalt fehlen, da weder Täter noch Opfer Deutsche waren und die Taten auch nicht auf deutschem Territorium stattfanden.

  • D
    Daniel

    Ich habe Herrn Strizeks Buch über die ruandisch-burundische Geschichte mit Interesse gelesen; allerdings muß ich sagen, dass ich sehr erleichtert bin über seine Ablehnung als Gutachter. Seine mitunter detailreiche Schilderung der Geschichte der Region unter deutscher Kolonialherrschaft und bis zur Unabhängigkeit geht einher mit einer völlig abstrusen Interpretation des Völkermords, bei der Täter zu Opfern verklärt werden. Vielen Dank für den guten Artikel, Herr Johnson!

  • NA
    Never Again 1994

    Lieber Herr Dominic Johnson,

     

    vielen Dank für ihre Ruandaberichterstattung und vor allem über diesen Fall. Wie oft in Kommentaren geschrieben, ist die TAZ einer der wenigen Zeitungen die über Afrika Bericht erstattet und Sie sind einer der wenigen deutschen Journalisten die sich in der ruandischen Geschichte vor allem Genozid auskennt.

     

    Herr Strizek es ist unfassbar, dass ausgerechnet Sie zur Klärung des Falles helfen wollen, so voreingenommen wie Sie sind sehe ich bezüglich ihrer Neutralität große Bedenken. Als Genozidüberlebende finde ich es grotesk, dass Sie nach "alternative Sichtweisen suchen".1.000.000 Menschen in 100 Tagen sprechen für sich!

  • HS
    Helmut Strizek

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    Helmut Strizek

    Hand aufs Herz, Dominic Johnson, Sie haben wahrlich keinen Grund, sich über meinen Zorn zu beklagen. Denn Sie bekämpfen seit 15 Jahren mit harten Bandagen - aus meiner Sicht leider ziemlich erfolgreich - meine Versuche, das Geschehen im Gebiet der Großen Seen Afrikas in einer Interpretation darzustellen, die von der von Ihnen der Staatsräson gehorchenden Sichtweise abweicht.

    Ihre Schilderung der Vorgänge vor der 5. Strafkammer des OLG Frankfurt/M. entspricht - sieht man einmal vom triumpfierenden Unterton ab - der Realität: Es ist den Vertretern der Generalbundesanwaltschaft und dem Anwalt des ruandischen Nebenklägers, die mein Memorandum zur Antwort auf das "politisch korrekte" Hankel-Gutachten schon kannten, in der Tat gelungen, meine alternative Sichtweise aus dem Gerichtssaal und damit für die Entscheidungsfindung des Gerichts fernzuhalten.

    Wäre es nicht fair gewesen, die für alternatives Denken aufgeschlossenen taz-Leser wenigstens zu unterrichten, dass sie sich über die in meinem neuen Buch "Clinton am Kivu-See" (Peter Lang-Verlag) dargestellte alternative Sichtweise selbst ein Urteil bilden können?

  • M
    Marcus

    @Heinrich Pobein

     

    bin kein Jurist aber meiner Meinung nach würde sich §1 StGB im Falle des Weltrechts darauf beziehen das die Taten zum Zeitpunkt der Verübung zu den International Geschützten Rechtsgütern gehörten. So wäre das führen eines Angrifskrieges vor 1945 zum Beispiel nicht Strafbar. Ob das jeweilige Nationale Recht die Taten auch Verbietet ist in so fern irelewant da Internationales Völkerecht, wenn es weit genug Verbreitet ist um unabhängig zu Gelten, auch gilt wenn es kein Nationales Gesetz gab. Ein Beispiel ist die Genfer Konvention die formal nur gilt wenn alle beteiligten Parteien ihr Beigetreten sind, was bei Bürgerkriegen Praktisch nie der Fall ist, da sie aber vom fast allen Staten angenommen wurde wird sie heute als allgemeingültig betrachtet. Andersherum Funktioniert das natürlich auch ist das Weltrechtsprinzip nicht anwendbar würde auch ein Nationales Verbot nichts bringen, da ein deutsches Gericht nicht nach dem Nationalen Recht eines anderen States Urteilen kann.

    Eine Mögliche Brücke wäre, einen implezieten Beitrit zu Postellieren. Wenn eine entsprechendes Verbot zwar nicht allgemeingültig ist (z.B.: Anti Folter Konvention) und der betroffene Staat einem entsprechenden Vertrag auch nicht Beigetreten ist, aber die Bezeichneten Taten National verboten hatt. Ein solches Vorgehen wäre aber meine Meinung nach sehr unsicher und nicht Koreckt.

  • HP
    Heinrich Pobein

    Ist das juristisch korrekt? Ist es nicht so, dass es für den Fall, dass das Weltrechtsprinzip für nicht anwendbar erklärt wird, keine Möglichkeit gibt, nach deutschem Recht zu urteilen. Vielmehr scheint das Gutachten die Anwendbarkeit eben dieses Prinzips - zu finden u.a. im §6 StGB - zu untermauern. Denn wenn die Taten, die dem Angeklagten zur Last gelegt werden, auch zum Tatzeitpunkt nach dem Recht des Tatortes unter Strafe standen, kann man kaum noch bestreiten, dass es sich um "Taten gegen international geschützte Rechtsgüter" sprechen, die eben nach diesem Weltrechtsprinzip auch ohne jeden Inlandsbezug vor deutschen Gerichten bestraft werden können. Auch das Weltrechtsprinzip des §6 StGB muss doch den Grundsatz aus §1 StGB beachten, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, "wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde."

    Bitte um Kommentare/Berichtigungen

    h.pobein