: Rote Khmer lassen Frist verstreichen
■ Bis gestern hätten Kambodschas Rote Khmer ihre Teilnahme an der von der UNO organisierten Wahl im Mai signalisieren können. Wenn die UNO jetzt an den Wahlen festhält, wird sie die neue Regierung...
Rote Khmer lassen Frist verstreichen
Bis Mitternacht wollte die UNO ihr Wahl-Registrierungsbüro in der Hauptstadt Phnom Penh geöffnet halten. Doch niemand glaubte, daß sich die Roten Khmer doch noch entschließen würden, an den Parlamentswahlen im Mai teilzunehmen. Mittwoch nacht lief die Anmeldefrist für die politischen Parteien ab. Allerdings hatten die Vertreter der Guerillaorganisation der UNO bereits in der vergangenen Woche ihre Absage erteilt.
Damit ist die Voraussetzung für die größte und teuerste Intervention in der Geschichte der UNO obsolet geworden: denn es war gerade die Einbindung der Roten Khmer in den kambodschanischen Friedensprozeß, der bei der Unterzeichnung der Pariser Friedensabkommen im Oktober 1991 als Erfolg gefeiert wurde. Schließlich hatten die vier Bürgerkriegsparteien die Verträge nur widerwillig und auf Druck ihrer „Paten“ unterzeichnet.
Die Regierung in Phnom Penh unter ihrem Premier Hun Sen, nach dem vietnamesischen Einmarsch in Kambodscha Anfang 1979 von Hanoi eingesetzt, hatte bis zuletzt gegen die Zumutung protestiert, sich mit den Vertretern der Roten Khmer an einen Tisch setzen zu müssen. Unter ihrem Führer Pol Pot hatten die Roten Khmer in den Jahren 1975 bis 78 ein Terrorregime ausgeübt. Hunderttausende, möglicherweise mehr als eine Million Menschen, kamen in dieser Zeit in Kambodscha ums Leben. Doch China bestand ebenso wie die asiatischen und westlichen Unterstützerstaaten der kambodschanischen Widerstandskoalition – zu der neben den Roten Khmer auch die Soldaten des ehemaligen Ministerpräsidenten Son Sann und die Anhänger des Prinzen Sihanouk zählten – auf der Beteiligung der Roten Khmer.
Zwanzig Jahre Krieg und Bürgerkrieg hatte die Bevölkerung des knapp neun Millionen zählenden Landes erlitten. Niemals haben sie eine demokratisch gewählte Regierung gekannt – auch nicht unter dem so sehr verehrten Prinzen Norodom Sihanouk, der 1970 gestürzt worden war. Mit einem Aufwand von rund zwei Milliarden US-Dollar und 22.000 Blauhelmen und UNO-Personal, die Kambodscha „mit weißen Autos, weißen Lastwagen, weißen Flugzeugen und weißen Helikoptern“ überschwemmten, wie ein Kommentator schrieb, trat die UNO-Übergangsverwaltung in Kambodscha (UNTAC) an, binnen kürzester Frist die Voraussetzungen für demokratische und allgemeine Wahlen zu schaffen.
Doch die Roten Khmer weigerten sich, ihre Soldaten entwaffnen zu lassen und den Blauhelmen Zugang zu den Rote-Khmer-kontrollierten Gebieten zu gewähren. Immer wieder griffen sie UNO-Personal an, lieferten sich Gefechte mit den Regierungstruppen. Die UNO hielt jedoch an dem Prinzip fest, nachdem die Blauhelme „friedenserhaltend“ und nicht „friedensschaffend“ agieren sollen: Der französische Vizekommandeur der UNO-Truppen, General Loridon, mußte gehen, als er forderte, die Roten Khmer zur Einhaltung des Abkommens „zu zwingen.“
In den kommenden Tagen wird sich der UNO-Sicherheitsrat wieder mit Kambodscha befassen. Es ist absehbar, daß er weitere Sanktionen gegen die Roten Khmer beschließen wird – und daß diese ebensowenig greifen wie die bisherigen. Denn er müßte zugleich auch Thailand mit Sanktionen belegen.
Am Beispiel dieses Landes, das ebenso wie fast dreißig andere Staaten Blauhelme nach Kambodscha entsandt hat, wird deutlich, wie sehr die UNO zwischen Friedensauftrag und den Interessen einzelner Staaten eingeklemmt ist. Verdanken doch die Roten Khmer einen wesentlichen Teil ihrer Stärke der guten geschäftlichen Zusammenarbeit mit Militärs und Geschäftsleuten des Nachbarlandes. 100 Millionen US-Dollar hat die thailändische Holzindustrie im vergangenen Jahr an die kambodschanischen Roten Khmer für Abholzungskonzessionen gezahlt, heißt es in einem Dokument des thailändischen Geheimdienstes, das der Hongkonger Far Eastern Economic Review vorliegt, wie die Agentur epd meldet. Weitere Millionen verdienen die Roten Khmer durch den Handel mit Rubinen und anderen wertvollen Edelsteinen, die sie in der von ihnen kontrollierten Grenzregion um Pailin schürfen lassen.
Alle Hinweise sprechen dafür, daß die UNO trotz allem an der Durchführung der Wahlen im Mai festhalten wird. Der australische Außenminister Gareth Evans sprach in der vergangenen Woche von einer „faktischen Teilung“ des Landes. Das könnte bedeuten, daß etwa 80 Prozent der Bevölkerung eine gewählte Regierung erhalten, deren Stabilität von der weiteren Präsenz der UNO abhängt. Der Rest der Bevölkerung bleibt ausgeschlossen. Jutta Lietsch
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