Rot-Grün-Rote Pläne zu Videoüberwachung: Kontrolle rund um die Uhr

Die SPD setzt Videoüberwachung an „gefährlichen“ Orten durch. Dafür bekommen Linke und Grüne mehr Bürgerrechte versprochen. Ob der Deal hält?

Ein sogenannter „kriminalitätsbelasteter Ort“: Berlin-Alexanderplatz Foto: picture alliance / dpa | Alexander Prautzsch

BERLIN taz | Von Licht und Schatten hatte die Linken-Landesvorsitzende Ka­tina Schubert gesprochen, als sie am Samstag beim Linken-Sonderparteitag um Zustimmung für den rot-grün-roten Koalitionsvertrag warb. Zu den Schattenseiten gehört die Einführung von Videoüberwachung. Nicht nur Linke, auch Grüne sind eigentlich gegen dieses Einsatzmittel. Die SPD, genau gesagt Innensenator Andreas Geisel und die Bürgermeisterin in spe, Franziska Giffey, haben sich in der Frage aber durchgesetzt. Dem Vernehmen nach war es ein hartes Ringen, geeinigt hat sich Rot-Grün-Rot am Ende auf einen Kompromiss. Grüne und Linke setzen im Gegenzug drei Neuerungen im Polizeigesetz durch, mit denen sie auf der bürgerrechtlichen Seite punkten können.

Bei Identitätsüberprüfungen an sogenannten kriminalitätsbelasteten Ort (kbO) soll die Polizei fortan, wie in Bremen, eine Kontrollquittung ausstellen – vorausgesetzt, die Betroffenen verlangen das. Zwei­tens:­ Kon­trol­len an kbOs dürfen nur aufgrund eines verdächtigen Verhaltens erfolgen und nicht aufgrund einer Hautfarbe oder des äußeren Erscheinungsbildes. Verankert werden soll damit im Polizeigesetz ausdrücklich das Verbot von Racial Profling. Der dritte Punkt ist von allgemeiner Bedeutung: Im Falle einer Speicherung in der polizeilichen Datenbank wird eine Benachrichtigungspflicht der Betroffenen eingeführt, soweit davon nicht Strafverfolgung und Gefah­renabwehr beeinträchtigt würden.

Alle Neuerungen müssen im Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) verankert werden. Das gilt auch für die Einführung der Videoüberwachung. Die Polizei darf zwar schon jetzt temporär und anlassbezogen Aufzeichnungen machen, was mithilfe von mobilen, auf Polizeifahrzeuge montierten Kameras geschieht. Fortan kann die Polizei an kriminalitätsbelasteten Orten aber fest installierte Technik verwenden und die Kameras bei Bedarf rund um die Uhr laufen lassen.

Einschränkend heißt es im Koalitionsvertrag, die Überwachung dürfe nur an begrenzten Orten unter Wahrung der Privatsphäre erfolgen. Der Einsatz von Videotechnik im direkten Wohnbereich wie etwa Hauseingängen sei aber tabu. Außerdem müsse alle sechs Monate über eine Fortdauer der Maßnahme entschieden werden.

Vorbild Bremen Seit September haben Menschen in Bremen, die an „besonderen Kontrollorten“ von Polizeibeamten kontrolliert werden, das Recht, auf Verlangen eine Bescheinigung über die Kontrolle zu bekommen. Die Regelung ist bundesweit einmalig.

Begründung Auf der Bescheinigung muss die Polizei einen Grund für die Kontrolle angeben. Dazu gibt es ein Freitextfeld und fünf Möglichkeiten zum Ankreuzen, etwa „Ansprechen offenbar unbekannter Personen; auch mehrfach“ oder „erkennbar konspiratives Verhalten“. (plu)

Datenflut auch auswerten

Tom Schreiber, neu in der Funktion des innenpolitischen Sprechers der SPD, geht davon aus, dass Kameras am Kotti und Alex kommen werden. „Da, wo auch die Brennpunkteinheiten tätig sind, macht es Sinn“, meint er. Aber er könne sich kaum vorstellen, dass rund um die Uhr aufgezeichnet werde. „Die Datenflut muss ja auch ausgewertet werden.“

Videoüberwachung verhindere keine Straftaten, ist Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, überzeugt. Das Thema habe bei den Koalitionsverhandlungen „sehr prominent“ im Raum gestanden. Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linken, bestätigt: Die SPD habe darauf insistiert, für die Linken sei das schwierig gewesen. Wenigstens habe man die Möglichkeiten der Überwachung eingeschränkt.

Bis Ende 2022 sollen im ASOG die Voraussetzungen geschaffen sein, dass die Polizei loslegen kann – so steht es im Koalitionsvertrag. Ende 2022, sagt Lux, sei dann auch der Zeitpunkt, zu dem die drei Bürgerrechtsverordnungen im ASOG festgeklopft sein müssten.

Von den Kontrollquittungen erhoffen sich Grüne und Linke einen Rückgang des Racial Pro­fling. Die Polizei soll an KbOs den Grund aufführen, warum eine Person kontrolliert wurde. Dass der Betroffene die Quittung explizit verlangen muss, werde sich in der Community schnell herumsprechen, ist Schrader sicher. Durch Aufklärung werde man die Opfer von Racial Profling empowern, ihre Rechte wahrzunehmen.

Die Bremer Polizei stellt seit September entsprechende Quittungen aus. Die Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP) teilte mit, dass man diese Regelung nicht notwendig finde. Polizeiliches Handeln in Berlin sei auch jetzt schon transparent, jede Maßnahme könne auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden.

Auch die Einführung einer Benachrichtigungspflicht über die Speicherung in polizeilichen Datenbanken berührt einen sensiblen Punkt. Allein in der Datei „PHW“ (Personengebundende Hinweise) waren Ende August 123.860 Personen gespeichert. Die in 36 Kategorien unterteilte Sammlung wird von der Polizei aus Gründen der Eigensicherung bei Einsätzen und als Ermittlungshilfe geführt. „Einmal darin gespeichert, kommt man kaum wieder raus“, sagt Lux. „Meistens erfährst du gar nicht, dass du gespeichert bist“, sagt Schrader. Der Linken-Politiker hat sich in der Vergangenheit immer wieder mit parlamentarischen Anfragen um das Thema verdient gemacht.

In der PHW-Datei gibt es Kategorien wie „Ansteckungsgefahr“, „Freitodgefahr“, „Clankriminalität, relevantes Umfeld“ oder politisch motivierte Straftäter links und rechts. Die größte Gruppe mit 46.723 gelisteten Personen sind allerdings „Betäubungsmittelkonsumenten“. Eigentlich, sagt Schrader, sei die PHW-Datei „eine riesengroße Kifferdatei“. Schon ein Krümel Gras reiche, um gespeichert zu werden.

Generell soll nun bei der Speicherung in Polizeidateien eine Benachrichtigungspflicht eingeführt werden, denn nur so können Betroffene dagegen vorgehen. Auch nach der Einstellung von Ermittlungs- oder Strafverfahren soll es künftig automatische Löschungsfristen geben. Diese Datenbanken seien ein einziger Moloch, sagt Schrader. Lux ergänzt, man verspreche sich von der Neuerung eine deutliche Bereinigung.

Benedikt Lux, Grüne, über Polizeidatenbanken

„Einmal drin, kommt man kaum raus“

Und wenn die SPD am Ende nicht mitzieht? Auch im letzten Koalitionsvertrag hatten sich Grüne und Linke mit den Sozialdemokraten auf fortschrittliche Vorhaben wie die Einführung eines unabhängigen Polizeibeauftragten verständigt. Das Gesetz dazu lag aber jahrelang auf Eis, weil die SPD ihre Zustimmung von einer Verschärfung des ASOG abhängig machte. Das Ergebnis des langen Tauziehens war, dass der Posten des Polizeibeauftragten nicht mehr vor der Wahl besetzt werden konnte.

Er rechne nicht mit einer Wiederholung, sagt Schrader. Natürlich werde es Verhandlungen um die konkreten Formulierungen im ASOG geben. Aber der Koalitionsvertrag lasse keine riesigen Spielräume für Interpretationen. Lux spricht von einem Gesamtpaket, das einen großen Erfolg für die Bürgerrechte beinhalte.

SPD-Politiker Schreiber nennt das Ergebnis ein „Geben und Nehmen“, alle Seiten müssten mit dem Koalitionsvertrag leben können. Und wenn Grüne und Linke unbedingt ein Verbot des Racial Profling ins ASOG schreiben wollten, das ja auch so schon existiere, dann, so Schreiber gönnerhaft, „kann es so sein, wenn es der Sache dient“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.