Rot-Grün – (K)eine Perspektive für Hamburg?: Gebot der Nachbarschaft
■ Gegen Rotgrün: Hartwig Serchinger, Verkehrsexperte der Handelskammer
Sicherlich geht es bei jeder Regierungsbildung um weit mehr als um Verkehrspolitik. Dennoch gehört sie in Hamburg zu den ganz wichtigen Politikbereichen. Zur Wertschöpfung in Hamburg trägt die Verkehrswirtschaft direkt rd. 13 Prozent bei, an Arbeitsplätzen entfallen auf sie rund 95.000, darunter 89.000 sozialversicherungspflichtige.
Schon allein diese Zahlen machen deutlich, daß Verkehrspolitik in und für Hamburg mehr umfassen muß als Politik zugunsten von Fußgängern, Radfahrern und ÖPNV, auf die sich Rot-Grün relativ leicht verständigen könnten.
Nicht nur die Verkehrswirtschaft, die gesamte Hamburger Wirtschaft und damit praktisch fast alle Arbeitsplätze hängen von einem funktionierenden Gesamtverkehrssystem ab. Das gilt für den Hafen ebenso wie für den Flughafen, für die Industrie ebenso wie für den Handel, für die Verlage ebenso wie für die zahllosen Dienstleistungssparten.
Hinzu kommt Hamburgs Funktion als Verkehrsdrehscheibe für Verkehre von und nach Norddeutschland und Skandinavien, im Überseeverkehr auch von und nach Ostdeutschland und Osteuropa. Es ist ein Gebot guter Nachbarschaft, dafür zu sorgen, daß diese Regionen nicht unter einem Verkehrsengpaß Hamburg leiden.
All dies erfordert u.a. ein prinzipielles Bejahen von Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, wozu auch der Straßenbau gehört. Die bisherigen Verlautbarungen der Grünen lassen indessen eher auf eine prinzipielle Ablehnung jeglicher Verkehrsinvestitionen mit Ausnahme solcher in den ÖPNV schließen.
Die Ablehnung der geplanten Hafenerweiterung in Altenwerder und der Vertiefung einiger Abschnitte der Unterelbe sind bei sehr wichtigen Kunden und Konkurrenten des Hafens mit Aufmerksamkeit registriert worden. Die Annahme, daß die großen internationalen Container-Reedereien auch ohne diese beiden Maßnahmen weiterhin Hamburg anlaufen würden, ist mehr als leichtferitg. Diese von den Konkurrenzhäfen sehr umworbenen Kunden wollen langfristige Planungssicherheit. Für Hamburg nachteilige Entscheidungen solcher Reedereien würden möglicherweise nicht lange auf sich warten lassen und zudem die Ökobilanz nachhaltig verschlechtern, denn nichts ist umweltfreundlicher als der Transport mit Seeschiffen weit in das Verbrauchsgebiet hinein.
Die autofeindliche Verkehrspolitik der Grünen verkennt, daß fast der gesamte für die Ver- und Entsorgung der Hamburger Bevölkerung und ihrer Arbeitsstätten erforderliche Wirtschaftsverkehr auf der Straße erfolgen muß. Die angestrebte Reduzierung der Fahrbahnfläche auch von Hauptverkehrsstraßen durch Rückbau oder Anlage von Radspuren würde nicht nur den motorisierten Individualverkehr treffen, sondern eben auch den Wirtschaftsverkehr. Hauptverkehrsstraßen können nur dann vom Verkehr entlastet werden, wenn dieser auf Umgehungsstraßen abgeleitet werden kann. Dazu können solche Projekte wie 4. Elbtunnelröhre und Hafenrandspange dienen.
Die grüne Komponente einer rot-grünen Koalition würde vorhandene Tendenzen zu einer ausschließlich anwohnerorientierten Verkehrspolitik verstärken, für Hamburg aber keine der Metropolfunktion angemessene Perspektiven eröffnen.
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