■ Rosi Rolands Bremer Geschichten: Demokratie à la Rundfunkrat
„Was ist denn das für eine Veranstaltung hier?!“, fragt, sagt, wundert und empört sich mein Sitznachbar zur Linken, denn er ist zum ersten Mal hier. „Das ist Demokratie“, flüstere ich ihm ins Ohr, und als hätten es die anderen Leute im Saal gehört, serviert der Rundfunkrat von Radio Bremen prompt eine kleine Lehrstunde in politischer Bildung.
Zwei der vier Herren aus dem Direktorium wollen langsam wissen, wie es mit ihnen weitergeht. Sie heißen Peter Dany und Rüdiger Hoffmann. Dany ist Verwaltungsdirektor, und sein Vertrag läuft zum Jahreswechsel aus. Sein Direktoriumskollege Rüdiger Hoffmann ist Fernsehchef, und sein Vertrag endet zwei Monate später. Es gilt im Rundfunkrat als üblich, solche Personalia ein halbes Jahr vor Ablauf der Verträge zu entscheiden und zu signalisieren, ob man die Verträge verlängern will oder nicht. Weil diese Frist bei Dany schon überzogen ist, wirkt er beim Warten auf den ganz schön weit hinten angesetzten Tagesordnungspunkt „Direktorenverträge“ besonders angespannt. Doch sein Warten lohnt sich, jedenfalls ein bißchen.
Bei Personaldebatten ist die ansonsten im Rundfunkrat zugelassene Öffentlichkeit auszuschließen. So regeln es Statuten und der Anstand, lasse ich meinen Sitznachbarn zur Linken wissen. Diesmal will der Rundfunkrat keine Debatte führen. Also hat ein Ausschuß eine Beschlußvorlage vorbereitet, und die Rundfunkratsvorsitzende Roswitha Erlenwein stellt sie nun zur Abstimmung: Es soll eine Findungskommission gebildet werden, die sich umguckt und umhört, wer denn für die beiden Stellen in Frage kommt. Dieses Verfahren ist für Dany und Hoffmann zwar kein entschiedenes „Ja“ zur Vertragsverlängerung, aber immerhin so etwas wie ein „Jain“, das ihnen das Schreiben von Bewerbungen erspart. Denn bei einer Findungskommission stehen amtierende Kandidaten meistens ganz oben auf der Liste, auf die verfahrenswegen keine BewerberInnen drängeln können – im Gegensatz zu einer öffentlichen Aussschreibung.
Kaum sage ich das meinem Sitznachbarn, ergreift Christine Bodammer für die Grünen das Wort. Wir hätten, sagt sie, uns doch geeignigt, daß solche Stellen in dieser Amtsperiode des Rundfunkrats grundsätzlich ausgeschrieben werden. „Als damals der Vertrag von Hörfunkdirektor Hermann Vinke ...“, fährt sie fort und muß sich von Roswitha Erlenwein schelten lassen: „Ich finde es nicht gut, daß Sie über interne Verfahrensweisen in einer öffentlichen Sitzung sprechen“, sagt sie. Im Juni 1996 hatte der Rundfunkrat beschlossen, Vinkes Vertrag nicht einfach zu verlängern, sondern die Stelle auszuschreiben. Im August des Jahres setzte sich Bewerber Vinke knapp gegen den Mitbewerber Jürgen Köster durch. Der Gleichbehandlung wegen, sollte dieses Verfahren auch für andere gelten.
Und gilt nicht mehr. Dany und Hoffmann müssen keine Bewerbungen schreiben, entscheidet der Rundfunkrat mit großer (Politiker-) Mehrheit.
„Was ist das bloß für eine Veranstaltung hier?“ Das ist Demokratie
lernt Ihre Rosi Roland
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