Roman über Zwischenmenschliches: Eingestaubte Beziehungen
Katja Oskamp beschreibt in "Die Staubfängerin" die absurden Seiten einer Kleinfamilie und erzählt Dramen aus dem Dorfleben - zwischen Putzfimmel und Vaterkomplex.
Manche Beziehungen stauben mit der Zeit ein. Andere wiederum gehen an zu viel Reinlichkeit zugrunde. Wie fatal sich Putzwut auf das zwischenmenschliche Miteinander auswirken kann, beschreibt Katja Oskamp. In "Die Staubfängerin" ist die Protagonistin Tanja Merz aus ihrem Debütroman "Halbschwimmer" erwachsen geworden. Die Regieassistentin Tanja hat es von Berlin in die Provinz verschlagen, dort kämpft sie mit der Beschaffung von Requisiten und hätschelt ihre Chefin. So kann es schon mal vorkommen, dass sie ihre betrunkene, ewig lamentierende Vorgesetzte ins eigene Bett hievt, weil diese mal eben die persönlichen Deckenberge mit dem örtlichen Lokus verwechselt hat.
Aber Tanja ist nun endlich da, wo sie immer hinwollte, am Theater - zwischen schmierigen Spelunken, alternden schauspielernden Volkshelden und dem eigenen Selbstverwirklichungsdrang. Noch immer hat sie einen ausgewachsenen Vaterkomplex, der in dem holländischen Dirigenten Edgar schließlich seine Befriedigung findet. Die Mutterinstinkte, die schon der heulende Edgar hervorruft, werden schließlich vervollkommnet, Tanja wird schwanger. Das Desaster nimmt seinen Lauf, sagt die Protagonistin im Rückblick. Wer hier große Geschichten erwartet, wird überrascht, allerdings nicht enttäuscht; was sich abspielt, ist das kleine, doch klassische zwischenmenschliche Drama.
Das Kind, ein Siebenmonatsfrühchen, liegt im Brutkasten, und der zuständige Arzt lehrt Oskamps Heldin: Nichts ist so wichtig wie Sauberkeit, um das Baby gesund nach Hause zu kriegen. Im Hintergrund droht Tanja stets der DDR-Mythos von verschwundenen Kindern. Die kleine Paula könnte plötzlich weg sein, wenn die Erziehungsberechtigte es nicht schafft, alles keimfrei zu halten. Die frischgebackene Mutter pumpt Milch ab, reinigt Flaschen und ekelt sich vor dem Vater des Kindes, der nicht klinisch rein ist. Immer skurriler wird das Alltagsleben der Kleinfamilie, doch die Autorin schafft es, das Fiasko ganz authentisch darzustellen. So gibt es lange Passagen, in denen die Figur Edgar, der so gar nicht weiß, was geschieht, sich selbst anklagt: "Du hast eine freche kleine Regieassistentin bestellt und eine fette Mutti bekommen. Dein aktueller Feind heißt Tanja Merz, wird bald dreißig, wiegt achtzig Kilo und benimmt sich wie ein Vollinvalide."
Der Ehemann wird immer mehr zur Randfigur, und man fragt sich, ob seine Rolle noch über die eines im Haus wohnenden Gartenarbeiters hinausgeht. Im Mittelpunkt steht Tanjas Ordnungswahn und ihre Lust, sich ins Dorfleben zu integrieren. Das höchste Ziel als Schriftführerin scheint erreicht, sie verkörpert genau das, was sie früher belacht hat, und hat sogar Mitgefühl mit ihrer eigenen Mutter.
Ein gut durchkomponierter Roman; toll, wie es der Autorin gelungen ist, das absurde Handeln ihrer Figur nachvollziehbar zu machen. Katja Oskamp hat ihr Handwerk am Leipziger Literaturinstitut gelernt, Wiederholungen von Konstruktionen wie "Sie, die Mutter - er, der Vater" werden bewusst eingesetzt und erscheinen stimmig. Fast bis zum Schluss schafft es die Autorin mit ihren Kunstgriffen, dem Leser die Materie vertraut zu machen. Aber dann, am Ende, gelingt es ihr doch nur beinahe. Da schickt die Autorin ihre Handlungsträger in ein unerwartetes Finale. Das ist zwar überraschend, aber darunter leidet die Nachvollziehbarkeit. Dennoch: Nach der Lektüre des Buches sieht man sich gezwungen, über die Rückseite eines Regals zu wischen und es sogleich zu unterlassen, sollte ein Beobachter in der Nähe sein.
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