RomanKomik, die ohne Verzweiflung nicht zu denken ist: Yasmina Rezas „Babylon“ zeigt die Bedeutungslosigkeit des Menschen: Nichts dauert an
von Shirin Sojitrawalla
Mit Kurzschlusshandlungen kennt sich die französische Schriftstellerin Yasmina Reza aus, Affekte treiben ihre Figuren immer wieder zu Handgreiflichkeiten: Marc etwa malt einen kleinen Skifahrer auf ein 200.000 Franc teures Gemälde („Kunst“). Annette Reille kotzt auf einen Kokoschka-Bildband und versenkt das Handy ihres Mannes in einer Blumenvase („Der Gott des Gemetzels“). Und Odile und Robert beißen sich an der Käsetheke im Supermarkt in eine Ehekrise hinein („Glücklich die Glücklichen“). Nur drei Beispiele aus Rezas affektgesteuertem Werk.
Den ins Kraut schießenden Gefühlen ihrer Figuren begegnet die Autorin mit Anteil nehmendem Spott und einer Komik, die ohne Verzweiflung nicht zu denken ist. Dabei beherrscht sie die Kunst, Bagatellen zu großen Dramen hochzuschreiben. Nach ihrem Episodenroman „Glücklich die Glücklichen“ aus dem Jahr 2014 legt sie nun, in Sichtweite zum Ehrengastauftritt Frankreichs bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, einen neuen Roman vor: „Babylon“. Darin ist es der Icherzählerin Elisabeth, 62 Jahre alt und Biologin am Institut Pasteur, vorbehalten, ihre Sicht auf die Dinge zum Besten zu geben.
Sie lebt mit ihrem Ehemann Pierre in einem Pariser Mehrfamilienhaus, der gemeinsame Sohn geht schon eigene Wege. Elisabeth fügt sich bestens in den Kosmos der neurotischen Reza-Frauen, die im kleinen Schwarzen Haltung und Anstand verlieren, ohne mit der getuschten Wimper zu zucken. Man darf sie sich in etwa so vorstellen wie die New Yorker Schriftstellerin Lily Brett: energisch nervöse Personen, die schon zu viel erlebt haben, um noch cool zu bleiben. Hinreißend seelisch Erschöpfte. Auch Elisabeth ist erschöpft, vom Leben, der Liebe und dem ganzen anderen verdammten Kram. Diesem Zustand tritt sie mit einer Frühlingsparty entgegen, doch nicht erste Sonnenstrahlen, sondern verspätete Schneeflocken illustrieren das Ereignis.
Das Partytreiben beschreibt Reza dann mit gewohnt leichtfüßiger Raffinesse, legt dabei die wunden Punkte von Paarbeziehungen frei wie unterspritzte Wangenknochen, leitet aus einem Oberteil einen ganzen Charakter ab und gibt dem Leser stets das Gefühl, mittendrin zu sein. Im Nachklang des Festes geschieht dann ein Verbrechen, dessen Rekonstruktion und Aufklärung den Rest des Romans beherrschen, sehr zu seinem Nachteil, denn er gebärdet sich wie eine Krimikomödie, die nicht weiter der Rede wert ist. Das liest sich dann höchstens amüsant weg. Das Schicksal nimmt in einfachen Sätzen und filmreifen Dialogen seinen Lauf.
Das Reich der Fotografie
Dennoch steckt mehr in dem schmalen, zeitlich und örtlich versetzt erzählten Roman. So beschäftigt sich Elisabeth immer mal wieder mit Fotografie, im Besonderen mit dem Zyklus „The Americans“ des schweizerisch-amerikanischen Fotografen Robert Frank. Darin vermisst Frank mit distanziertem Blick das raue Nachkriegs-Amerika von allen Seiten, in dem er Menschen unterschiedlicher Schichten verewigt.
Die Exkurse ins Reich der Fotografie fügen sich gut in Rezas Roman, weil sie die melancholischen und wehmütigen Untertöne des Ganzen befördern. In Michael Köhlmeiers „Zwei Herren am Strand“ findet sich Winston Churchills Feststellung, die Fotografie sei die traurigste aller Künste, „weil sie von einem Augenblick erzähle, der nie wiederkehrt“. Um solche Augenblicke geht es bei Reza in ihren Dramen, Romanen, Essays und Notizen. Dinge, die nicht wiedergutzumachen sind. Momente, die nicht wiederkehren. Alter und Tod eskortieren ihren neuen Roman ebenso wie die bittere Erkenntnis: „Man kann im Leben nicht darauf hoffen, dass etwas andauert.“
Mit den Schwindelerregungen des Älterwerdens kennt sich Reza genauso aus wie mit dem Umstand, dass das Leben keine Aneinanderreihung von Sonntagen ist. Die Menschen in ihrer Bedeutungslosigkeit auszustellen gehört zu den besonderen Talenten dieser Autorin. Die stärksten Szenen des neuen Buchs bilden denn auch ihre Gedanken über die Endlichkeit von Ding und Mensch.
Die für sie typisch gewordenen Szenen, in denen sich die Grenzen zwischen lesenden und handelnden Figuren im gemeinsam vollzogenen Großgelächter auflösen, fehlen indes. Diesmal sind es Betrachtungen übers Leben und seine „strahlenden Ausnahmemomente“, die das Buch ehren. „Es ist nichts Reines in den menschlichen Beziehungen“, heißt es an einer Stelle. Doch selbst Wahrhaftigkeiten wie diese machen Rezas Roman nicht brillant.
Yasmina Reza: „Babylon“. A. d. Franz. von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel. Hanser Verlag, München 2017, 218 S., 22 Euro
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