: Rollentausch und Albernheiten
■ Shakespeare und Budnikowsky: „Liebesnacht“ am Thalia
Das Paar tänzelt wild umeinander und verschlingt sich mit Bli-cken. Nicht nur die aufkommende Leidenschaft eint sie, sondern auch die lange Lakritzschnur, deren Enden sie im Mund haben und hastig verspeisen. So kommen sich ihre Lippen allmählich näher und können sich schließlich küssen. Am Ende klammert sie ihre Beine wie ein Äffchen um seine Taille, und er trägt sie rennend fort. Szenenwechsel; das Stück, dargeboten im Thalia in der Gaußstraße, trägt den Titel Liebesnacht.
Auf zwei imaginären Balkonen stehen gleich darauf zwei Julias, darunter rezitieren zwei Romeos Shakespeares Text, doch nicht immer sind sich die vier einig, wer was sagen soll. Wildes Gestikulieren folgt, bei dem sich die Beteiligten gegenseitig im Text helfen. Mit einsetzender Musik folgt die nächs-te Szene, und nun enthüllen die zwei Männer genussvoll und animierend, was sie unter ihren Ja-cketts tragen: Frauentops. Spiele mit Texten, Spiele der Liebe.
Im Foyer des Thalia-Theaters in der Gaußstraße wurde das Stück Liebesnacht, inszeniert von Annette Pullen, an nur einem einzigen Abend aufgeführt. Mit Textfragmenten von Goethe, Shakespeare, Improvisationen der SchauspielerInnen und Texten von Annette Pullen ist die Inszenierung mit einer Collage vergleichbar. Sie enthüllt Szenen der Liebe, jene trivialen und scheinbar kleinen Dinge, die wir wieder erkennen, weil sie uns so vertraut sind.
Banalitäten, Sehnsüchte, Rollentausch und Albernheiten sind es, die hier stattfinden. Albern wie das verlegen flirtende Paar, das sto-ckend ein Gespräch versucht und sich an Erinnerungen klammert: „Das war meine erste große Liebe. Sie war dreieinhalb, ich war vier.“ Wir erfahren schließlich, was „Budnikowsky“ gerade im Angebot hat, weil der Mann aus Hilflosigkeit nichts mehr zu erzählen weiß.
Sehr nah und direkt wirken die fünf SchauspielerInnen, die es sich mitten unter dem Publikum auf Sesseln und Stühlen mit Zigaretten gemütlich gemacht haben und da-rüber diskutieren, wer denn nun die Rolle des Ashley gespielt hat. Die Szenenwechsel sind harmonisch komponiert, und obwohl sich kein Höhepunkt aus der Kette an Situationen abzeichnet, lösen sich Leichtigkeit und Spannung ab. „Liebe interessiert mich, sie ist das Wichtigste im Leben“, sagt Annette Pullen.
Das Resümee: Gerade weil uns diese absurden Szenen so bekannt sind, weil wir uns erwischt fühlen und dennoch immer wieder überrascht werden, ist Liebesnacht ein gelungenes und heiteres Stück.
Sandra Deike
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