piwik no script img

Rockmusiker Griffin bei der Breminale"Ich bin Frankenstein"

Sid Griffin hat Alternative Country erfunden und Garage Punk gespielt. Ein Gespräch über Bluegrass, den Fluch von Gram Parsons und Baseball.

Sid Griffin hat ein Monster erschaffen Bild: James Moses/music matters

taz: Mr. Griffin, Sie haben einen Namensvetter, der im Stadtrat von Mount Washington, Kentucky, sitzt. Sind Sie verwandt?

Sid Griffin: Nein, aber ich kenne ihn. Mount Washington ist ein paar Meilen südlich von Louisville. Und mein Vater schickt mir alle Ausschnitte aus der Lokalzeitung, in denen was über Sid Griffin drinsteht. Er findet das lustig.

Wollten Sie jemals in die Politik gehen?

Sid Griffin: Billy Bragg hat mal versucht, mich zu überzeugen, mich für ein öffentliches Amt zu bewerben. Aber ich habs nie getan. Als ich noch in Kalifornien lebte, war ich eine Zeit lang als Wahlhelfer für die Demokraten unterwegs, ging von Tür zu Tür, klopfte und versuchte die Leute davon zu überzeugen, meinen Kandidaten zu wählen. An meinem allerersten Tag brüllte mich jemand an, ich schüttelte einem Einarmigen die Hand und schließlich wurde ich von einem Doberman quer durch die Stadt verfolgt.

Und das war das Ende Ihrer politischen Karriere?

Nein, ich hab das dann noch eine ganze Zeit lang gemacht. Aber an diesem ersten Tag habe ich gelernt: Rede schnell und sieh zu, dass du schnell wieder wegkommst. Und wenn jemand was über Richard Nixon oder Ronald Reagan sagt, dann fang nicht an mit ihm zu diskutieren.

Ich frage natürlich, weil die neue Platte Ihrer Band The Coal Porters eine politische Botschaft hat.

Ja, das hat sie.

Welche Botschaft ist es, eine Platte mit altmodischer Bluegrass- und Country-Musik aufzunehmen?

Das ist eine gute Frage. Denn Bluegrass-Songs handeln normalerweise von der alten Dorfbrücke, von Mama und wie es ist, die Farm verlassen zu müssen, und natürlich von Jesus Christus. Davon handeln unsere Songs nicht. Ich bin ein Obama-Fan und der Rest der Band besteht aus Anhängern des sozialistischen Labour-Parteiflügels. In unseren Songs geht es um einfache Menschen. Allein, dass wir das Wort "Kommunist" benutzen in einem Song, würde eine Menge Bluegrass-Musiker schon auf die Palme bringen. In gewisser Weise machen wir nur, was The Band vor zig Jahren vorgemacht haben. Wir reklamieren alte Musik für neue Generationen. Wir zeigen Leuten, die noch vor ein paar Jahren lieber gestorben wären, als sich ein Banjo oder eine Fiedel anzuhören, dass diese Musik Herz und Seele hat. Ja, wir holen uns diese Musik wieder zurück von den Konservativen. Die traditionelle akustische Musik in Amerika, das, was wir als Folk-Musik kennen, war traditionell eigentlich links bis in die Vierzigerjahre hinein. Erst in den Fünfziger bekamen Country und Bluegrass dieses konservative Image. Aber zu Zeiten meines Großvaters war das die Musik der Arbeiterklasse, da ging es um Streiks und um den Tod. Und da bin ich nun also, selber ein bisschen angegraut, und spiele die Musik meiner Großeltern.

Wie haben Sie Bluegrass entdeckt?

Aus Langeweile. Ich habe damals angefangen Musik zu machen, weil ich ein Foto der Sex Pistols gesehen hatte. Ein Foto, nur ein Foto. Darunter war eine Kritik von Greg Shaw, in der stand, dass die Typen auf dem Foto jung seien und einen enthusiastischen, aber schlampigen Rock n Roll spielen würden. Da dachte ich: Das kannst du auch. Aber ich hatte niemanden, an dem ich mich hätte orientieren können. Damals war Kentucky tot. Da gab es noch keinen Will Oldham, keine Palace Brothers, keine My Morning Jacket, es gab nur meine kleine Band und sonst nichts. Dann zog ich nach L. A., und nach 20 oder 25 Jahren wurde es mir langweilig, auf meine Gitarre einzudreschen. So entdeckte ich die akustische Musik, und das war die beste Entscheidung meines Lebens seit den Long Ryders. Und heute spiele ich Bluegrass, aber, wenn man so will, mit einer Punkrock-Attitüde. Der Typ, der unsere Platten in Japan vertreibt, meinte mal: Ihr spielt Bluegrass für Leute, die eigentlich keinen Bluegrass mögen.

Hat Bruce Springsteen Ihre Idee geklaut, als er die "Pete Seeger Sessions" aufnahm?

Tatsächlich hatte ich jedes Interesse an Springsteen verloren, aber die "Pete Seeger Sessions" waren wirklich toll. Springsteen kam nach London, und ein Freund sagte: Komm, lass uns hingehen. Aber ich wollte nicht. Dann sah ich den Auftritt im Fernsehen und dachte nur: Was war ich doch für ein Idiot. Du, mir fiel mal wieder auf, dass offensichtlich niemand in den Radiosendern wirklich darauf achtet, was Springsteen so singt, sonst würden sie ihn nämlich nicht spielen. Immer geht es da um Streik, eine Fabrik schließt gerade oder ein sinnloser Krieg wird geführt.

Seit dreißig Jahren modernisieren Sie nun vorsichtig alte Musik: zuerst Country mit den Long Ryders, nun Bluegrass. Sind Sie weniger Musiker als vielmehr ein Historiker?

Da ist was dran. Ich bin auf jeden Fall ein Musikologe. Ich kann nicht einfach nur eine Platte hören, mich interessiert immer auch die Geschichte dahinter.

Haben Sie nie den Drang verspürt, modern zu sein? Ein Innovator zu sein - wie andere Künstler auch?

Das ist mir scheißegal. Ich arbeite vielleicht nicht an Erweiterungen der Musik, sondern nur an ihren Verfeinerungen. Aber das hat mich nie gekümmert. Ich spiele einfach die Musik, die ich spielen will. Ich versuche nicht Philip Glass zu sein. Ich bin halt jemand, der eher nach hinten blickt. Irgendein englisches Magazin, Mojo oder Uncut, hat mal geschrieben: Sid Griffin reverses forward - Sid Griffin spult vorwärts zurück. Das hat mir gut gefallen. Wir spielen schließlich Bluegrass vor allem für Menschen, die diese Musik vorher noch nie gehört haben.

Um den Menschen Musik näherzubringen, schreiben Sie auch darüber in Magazinen und Bücher. Stimmt es dass Sie immer noch auf das Honorar für Ihr erstes Buch warten, die Biografie des legendären Musikers Gram Parsons, der als Americana-Miterfinder gilt?

Stimmt. Seit den Neunzigern hab ich kein Geld mehr gesehen, aber der Typ verkauft es immer noch. Der hat mich so über den Tisch gezogen, aber ich habe keine Zeit, diesen Rechtsstreit zu führen.

Gram Parsons hat Sie lange beschäftigt. Sind Sie immer noch so fasziniert von ihm?

Wenn man jung ist, dann neigt man dazu, die Leben solcher Leute wie Hank Williams oder Robert Johnson zu romantisieren. Aber die starben jung und waren nicht glücklich. Und Gram sah gut aus, war lustig und hatte Charisma, aber er hat es versaut. Du und ich, wir mögen Gram Parsons. Aber Gram Parsons mochte Gram Parsons überhaupt nicht. Ich habe alle Orte besucht, an denen er auch war, ich habe seine Verwandten und Zeitgenossen getroffen, und das war sehr entmystifizierend. Die alten Kumpels aus Flying-Buritto-Brothers-und Byrds-Tagen sind nicht neidisch auf Gram, aber sie sind ein bisschen sauer, dass er alle Aufmerksamkeit bekommt. Und das liegt vor allem daran, dass er wie James Dean oder Jimi Hendrix jung gestorben ist und dass er auf eine sehr spektakuläre, hässliche Art gestorben ist. Weil ein paar Typen auf Drogen seinen Leichnam klauten und ihn in der Wüste Brand setzten. Hätte Gram Parsons heute eine Glatze und einen Bauch, hätte er ein paar schlechte Platten gemacht mittlerweile, dann wäre er kein Thema mehr.

Wird Gram Parsons überschätzt?

Ich hasse mich dafür, das sagen zu müssen. Aber ja, er wird wohl überschätzt. Wenn ich zurückblicke: Jemand wie Gene Clark (Gründungsmitglied der Byrds, d. Red.) hat wahrscheinlich genauso viel geleistet: Der Mann hat einen großartigen Song nach dem anderen geschrieben, aber es kümmert kaum jemanden. Für die Erfindung von Americana gibt es auch andere Verantwortliche: Die ersten Singles, die Elvis Presley für Sun Records aufgenommen hat, sind für mich Americana. Oder die frühen Sachen von Lovin Spoonful: Wenn die heute rauskommen würden, könnten Will Oldham oder die Handsome Family einpacken. Hey, "Rubber Soul" ist doch eigentlich Americana und die Beatles sind noch nicht mal Amerikaner. Die ganze Sache ist außer Kontrolle geraten.

Sie haben Ihren Anteil an dieser verschobenen Geschichtsschreibung als Verfasser des ersten, wegweisenden Buches über Parsons.

Ja, ich befürchte, ich bin Frankenstein, der ein Monster geschaffen hat. Wenn heute eine Band zu ihren Einflüssen befragt wird, müssen sie alle antworten: Alex Chilton, James Brown und Gram Parsons. Und das ist zum Teil meine Schuld.

Sie haben auch als Musiker Ihren Anteil daran, was Americana heute ist. Ihre Band Long Ryders gilt als Verbindungsglied zwischen den Siebzigern und Neunzigern. Wird sie dafür angemessen gewürdigt?

Ich glaube nicht. Ein Freund hat mal gesagt: Die Long Ryders waren die perfekte Band zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Fünf Jahre später oder fünf Jahre früher hätten wir groß werden können. Aber als wir loslegten, waren gerade Haircut 100 und Kajagoogoo angesagt. Und als wir uns damals auflösten, ich war ungefähr 30, hab ich rausgefunden, was eine Depression ist.

Ähnlich fasziniert wie von Musik sind Sie nur noch von Baseball. Warum?

Ich hatte Freundinnen, die mir vorwarfen, ich wäre auf dem Stand eines 12-Jährigen stehengeblieben. Und da ist was dran. Jedenfalls liebte ich als 12-Jähriger schon Rock n Roll und Baseball. Und wenn ich jemals 82 werde sollte, werde ich wohl immer noch auf dieselben Sachen stehen wie mit 12. Baseball ist einfach ein faszinierender Sport. Es gibt keine Spielzeit, die das Spiel begrenzt, und auch das Spielfeld ist theoretisch unendlich. Das gibt es bei keinem anderen Sport. Das macht das Spiel so poetisch.

Die besten Sportjournalisten in den USA sind gewöhnlich die Baseball-Schreiber und kein Sportverein der Welt dürfte so viele Schriftsteller als Fans haben wie die Boston Red Sox. Außerdem gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen Baseball und Musik: Die Geschichte von Baseball und die Geschichte der Musik erzählen jeweils auch die Geschichte Amerikas. Im Baseball fiel die Rassentrennung, bevor sie in den Schulen abgeschafft wurde. Das war eine große Sache.

Aber was fasziniert Sie an beidem so?

Ich kann das nicht wirklich erklären. Ich glaube, es ist eine Glaubensfrage. Es gibt Menschen, die glauben an Jesus, können stundenlang darüber quatschen und ich versteh das einfach nicht. Und bei mir ist es halt so mit Baseball und Musik. Es gibt so viele Querverbindungen: Bill Monroes Bluegrass Boys waren nicht nur eine Bluegrassband, sondern auch ein Baseball-Team. In jeder Stadt, in der sie auftraten, spielten sie erst mal eine Runde gegen einen lokalen Klub.

Ist eine Gemeinsamkeit, dass man sich in beidem leicht verlieren kann, in den Statistiken und Mythen? Dass man Geheimwissen anhäufen kann, zum Nerd werden kann?

Auf jeden Fall.

Sie selbst haben gesagt, Sie hätten sich ein "absurdes, labyrinthisches Wissen über Popmusik" angeeignet. Leiden Sie darunter?

Keine Ahnung. Ich gehe jedenfalls zwei Mal pro Woche zu einer Psychiaterin. Vielleicht sollte ich die mal fragen. Ich weiß wirklich nicht, warum ich dieses ganzen lächerlichen Daten in meinem Hirn speichere. Ich erzähle mal eine Geschichte: Großes Essen, ungefähr 16 Leute, beim South-by-Southwest-Musikfestival in Austin, Texas. Ein Freund von mir diskutiert mit seiner Frau, aber ich kann nicht hören, worum es geht. Plötzlich spricht er mich an: Hey, Sid, sag mal die Zombies auf! Ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: Hugh Grundy, Paul Atkinson, Chris White, Colin Blunstone. Ich will weiter essen, aber er fragt mich: Wer spielte bei Iron Butterfly? Ich: Eric Brann, Ron Bushy, Lee Dorman und wer noch. Ach ja, Doug Ingle. Er ruft: Richtig! Und die Los Angeles Dogders von 1962? Ich zähle also die Dodgers von 1962 auf - der ganze Tisch ist mittlerweile still. Als ich fertig bin, dreht er sich um zu seiner Frau und sagt: Siehst du, Casey, deshalb können so schlaue Typen wie Sid und ich nicht Chirurgen oder Rechtsanwälte werden. Wir haben einfach zu viel Scheiße im Kopf, da bleibt für Medizin und Gesetze kein Platz. Er hat das wirklich gesagt. Und seine Frau antwortete: Das ist wohl so.

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!