Roboter im OP-Saal: Hand in Hand mit dem Chirurgen
Heute sind Chirurgen vor allem Handwerker und Roboter ihre Werkzeuge. Davon profitieren Mediziner und Patienten gleichermaßen.
Das Telefon klingelt. Alexander Haese springt auf und eilt durch den OP-Saal. Mit gerunzelter Stirn lauscht der Urologe dem Anruf aus der Pathologie. Nicken, dann ein Lächeln. „Kein Krebs an der Außenhülle der Prostata“, ruft er. Erleichterung beim OP-Team. Das Gewebe und die Nerven rundum der Vorsteherdrüse müssen nicht gekappt werden. Der Patient behält seine Erektionsfähigkeit. „Jetzt müssen wir noch die Lymphknoten entfernen“, sagt Haese.
Zurück an den leicht geneigten Operationstisch tritt er dafür nicht, sondern setzt sich an die Steuerkonsole des Da-Vinci-OP-Roboters, einige Schritte vom Patienten entfernt. Von hier aus steuert Haese die Instrumente an den vier Armen des Roboters im Körper des Patienten, eingeführt durch kleine Schnitte im Unterbauch. Ein Endoskop liefert hochauflösende Bilder aus dem Bauchraum. In zehnfacher Vergrößerung sieht man, wie das Skalpell durch das Gewebe rund um die Lymphknoten fährt. Genauso bedächtig und präzise wie der Chirurg die kleinen Joysticks bewegt.
Im Schnitt sechs bis sieben Prostata-Operationen macht Haese pro Woche in der Hamburger Martini-Klinik – allesamt mit Roboterunterstützung. Roboter in Operationssälen sind alltäglich geworden, nicht nur in der Urologie. Danach sah es längst nicht immer aus. 1985 wurde erstmals ein Robotersystem im OP eingesetzt. Der „Puma 200“ half dabei, Nadeln für eine Hirnbiopsie zu positionieren. Die Erwartungen waren danach groß. Technikoptimisten sprachen von autonomen Robotern, die effektiver operieren sollten als Chirurgen aus Fleisch und Blut. Die Visionen wichen bald der Ernüchterung.
In den 90er Jahren folgte die Krise. Der Robodoc sollte eigentlich das Einsetzen von Hüftprothesen erleichtern. Das Versprechen: kleinere Eingriffe, schnellere Heilung. In über 100 deutschen Operationssälen stand der Roboter, die Erwartung erfüllte er nie. Mal fräste er gesunde Knochen ab, mal beschädigte er Muskeln. Nach einigen Gerichtsprozessen verstaubt der Robodoc in den Abstellkammern der Kliniken – genau wie sein Kollege, der „Caspar“. Auch er sollte millimetergenau die Knochen fräsen und künstliche Knie- und Hüftgelenke platzieren. Stattdessen kam es zu Verletzungen von Muskeln und Nerven. Einige hundert Patienten klagten. Ein Tiefpunkt.
„Die Roboter haben genau das getan, wofür sie entwickelt wurden. Aus heutiger Sicht waren sie für den medizinischen Einsatz jedoch noch nicht ausgereift genug“, sagt Jan Stallkamp, Abteilungsleiter für Automatisierung in der Medizin am Fraunhofer IPA in Stuttgart.
Über die technischen Kinderkrankheiten der Anfangstage ist man inzwischen hinweg. Durch den Erfolg moderner Systeme wie dem Da Vinci ist die Roboterakzeptanz in der Medizin gestiegen. „Ich sehe den Da Vinci als eine Arbeitserleichterung. Nicht mehr und nicht weniger“, sagt Haese.
Kleinere Schnitte verheilen besser
Die hochauflösenden Bilder aus dem Bauchraum findet er übersichtlicher als den Blick durch die OP-Lupe bei einer offenen Operation. Die Schnitte am Unterbauch sind außerdem kleiner und verheilen leichter. Und der Roboter gleicht kleinere menschliche Schwächen aus. Er hält die Kamera am Endoskop ohne Ermüdungserscheinungen. Das Da-Vinci-System rechnet außerdem jede Bewegungen des Chirurgen um. Ein Zentimeter am Joystick entspricht 2 Millimetern im Körper.
Auch den Tremor, das natürliche Zittern der Hand, gleicht das System aus. So sind feinere Schnitte im Zehntel-Millimeter-Bereich möglich – eine Kunst, die sonst nur sehr erfahrene Chirurgen beherrschen.
Durch hohe Präzision punkten auch Systeme wie der „Renaissance Mini Roboter“. Vom Aussehen her erinnert er an eine zerknautschte Getränkedose, ist für Neurochirurgen aber eine Arbeitserleichterung. Bei einigen Erkrankungen der Wirbelsäule sind Schrauben nötig, um das Rückgrat zu stabilisieren. Ein heikler Eingriff in direkter Nähe zu den Nervenfasern des Rückenmarks. Der Renaissance Roboter kann die Länge und Position der Implantate berechnen und kontrollieren – und ist viel präziser als das menschliche Auge.
Erfahrung und Fingerspitzengefühl
Auch beim sicheren Halten von Schrauben oder Biopsie-Nadeln leisten Assistenzsysteme wertvolle Dienste. Doch für das Führen der Nadel oder das Einschrauben bleibt der Arzt unersetzlich. Mit viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl spürt der Chirurg genau, wenn er auf Widerstand trifft oder ein Gefäß beschädigt wurde. Für ein vergleichbares, selbstständiges Eindringen in den Körper bräuchten die Roboter viel feinere Sensoren und präzise Positionsdaten in Echtzeit. Theoretisch vielleicht möglich, in der Praxis aber noch viel zu aufwendig und teuer.
Anders als in vielen Teilen der Industrie scheint der Arbeitsplatz des Chirurgen von Roboter und Algorithmen wenig bedroht. „Während einer Operation müssen sehr viele Entscheidungen getroffen werden. Die dafür nötige Erfahrung eines Chirurgen lässt sich bisher kaum in Algorithmen übersetzen“, erklärt Stallkamp.
Roboter sei ohnehin ein irreführender Begriff, da er oft einen automatischen Vorgang ohne Eingriff des Arztes suggeriert Dieser Begriff erzeugt falsche Vorstellungen. Denn qualitativ liegen die Eingriffe mit und ohne Roboter gleichauf. Allerdings sind die Kosten für die Systeme deutlich höher. Knapp 2 Millionen Euro kostet die Anschaffung eines Da Vinci, der Aufwand für die Schulung der Ärzte nicht eingerechnet.
Dazu kommen etwa 1.200 bis 2.000 Euro für jeden Eingriff. So ist die Lebenszeit der Instrumente begrenzt. Nach acht bis zehn Eingriffen ist eine Erneuerung fällig. Auch die Sterilisierung der Roboterinstrumente ist aufwendig und kostspielig.
Kein Geld für den Mehraufwand
Von den Krankenkassen wird der Mehraufwand bisher noch nicht honoriert. Für eine Prostata-OP mit oder ohne OP-Roboter wird dieselbe Fallpauschale gezahlt. „Die aktuelle Entwicklung erinnert etwas an die Einführung des Automobils. Am Anfang war man mit dem Pferd deutlich günstiger und zuverlässig unterwegs. Irgendwann wurden die Autos zu einer Lebenserleichterung, auf die man ungern verzichtete“, sagt Sophie Lantermann, Robotikexpertin am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR).
Ähnlich sieht es bei den heutigen OP-Robotern aus. Im Moment ist ihr Einsatz noch Geschmackssache, die meisten Vorteile eines Robotersystems lassen sich heute noch mit Erfahrung und einer guten OP-Lupe ausgleichen.
In Zukunft könnte sich das deutlich ändern. Am Karlsruher Institut für Technologie arbeiten Forscher beispielsweise an einer neuen Generation von fühlenden Instrumenten. Die Vision: Mithilfe von feinen Sensoren an der Spitze des Roboters kann der Chirurg schwer zugängliches Tumorgewebe und Organe im Bauchraum abtasten. Ein großer Gewinn, denn anhand der Konsistenz, Größe oder Elastizität der Wucherungen lassen sich wichtige Rückschlüsse über das Stadium des Tumors ziehen.
Bisher müssen sich die Ärzte während einer Operation auf Kamerabilder aus dem Bauchraum oder den Blick durch das OP-Mikroskop verlassen. Ihre Sicht wird dabei durch Qualm, Blut und Gewebestrukturen behindert. Bis zum Einsatz von Tastsensoren im OP-Saal werden allerdings noch einige Jahre vergehen. Mit einem aktuellen Prototyp lassen sich erst unterschiedlich große Plastikkugeln in einem Silikonkissen ertasten.
Gelenkfreie Robotersysteme
An flexibleren Roboterinstrumenten wird am Institut für Robotik und Mechatronik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt geforscht. „Heutige Modelle haben oft keine Gelenke und sind entsprechend unflexibel. Der Operateur braucht viel Übung und Geschick, um damit zu schneiden oder zu nähen“, erklärt Lantermann.
Die Lösung erinnert eher an eine Schlange als an einen Roboterarm. Auch Anwendungsszenarien gibt es dafür bereits, zum Beispiel Bypass-Operationen. Um das Herz freizulegen, werden heute die Rippen meistens aufgesägt und der Brustkorb auseinandergedehnt. Bei einem Arterienbypass wird dann die an der Innenseite des Brustkorbs verlaufende Arterie freigelegt und an die Koronararterie angeschlossen. Das versorgt den Herzmuskel zwar wieder ausreichend mit Blut und Sauerstoff, aber der Eingriff ist aufwendig und anfällig für Komplikationen. Die Patienten erholen sich davon oft nur langsam.
Mit beweglicheren, ausreichend feinen Instrumenten wäre es durchaus denkbar, diesen Eingriff durch die Rippen hindurch zu machen. Dabei müssen die Instrumente allerdings noch die natürlichen Herzbewegungen ausgleichen. „Das ist sicherlich eine schwierige Herausforderung, die wir nicht in den nächsten zwei, drei Jahren meistern werden. Aber es wäre eine große Erleichterung für die Arbeit der Chirurgen“, sagt sie.
Am Patienten wurde der Schlangenarm allerdings noch nicht ausgetestet. Das Ende der Entwicklung sind solche futuristisch anmutenden Ideen allerdings noch nicht. In Zukunft könnten Roboter nicht mehr nur am Operationstisch die Ärzte unterstützen, sondern auch direkt im Körper.
Kamerafahrt durch den Darm
Ein erster Vorbote für diesen Trend ist die Pillcam, ein Endoskop kaum größer als ein Gummibärchen. Sie wandert innerhalb von acht Stunden quer durch den Körper, von der Speiseröhre, durch den Magen und den Dünndarm bis zum Dickdarm. Während ihrer Reise macht sie vier Bilder pro Sekunden und schickt sie an einen Datenrekorder am Bauch des Patienten. Die Bilder sind nicht so gut wie die einer herkömmlichen Darmspiegelung, dafür ist die Methode deutlich schonender.
Und es geht noch kleiner. Seit einigen Jahren arbeiten Forscher intensiv an winzigen Nano-Robotern, kaum größer als Blutkörperchen und Zellen. Sie sollen sich selbstständig durch unseren Körper bewegen und dort zum Beispiel Tumoren bekämpfen. Bisher ist das kaum mehr als Grundlagenforschung, weit entfernt vom Test am Patienten.
Doch die Forscher glauben, dass in den nächsten 20 bis 30 Jahren solche Nano-Roboter erste kleinere medizinische Aufgaben übernehmen und so manche operative Eingriffe überflüssig machen könnten. Der Da Vinci von heute stünde dann wahrscheinlich schon längst im Technikmuseum als Wegbereiter der Operationen der Zukunft.
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