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■ Robert McNamaras späte Reue, marktgerecht zum 20. Jahrestag der Flucht des letzten Amerikaners aus Saigon veröffentlicht, ruft bei Vietnam-Veteranen, die von ihm in diesen Krieg geschickt wurden,..."Ein Heuchler ist er, nichts weiter"

Robert McNamaras späte Reue, marktgerecht zum 20. Jahrestag der Flucht des letzten Amerikaners aus Saigon veröffentlicht, ruft bei Vietnam-Veteranen, die von ihm in diesen Krieg geschickt wurden, nichts als Zorn hervor.

„Ein Heuchler ist er, nichts weiter“

Ed Timberlake ist stolz, daß er im Vietnamkrieg gekämpft hat. Und er ist stolz, daß er als Marineflieger an der Bombardierung Kambodschas teilgenommen hat, die die Nixon-Regierung zunächst vor dem US-Kongreß und der Öffentlichkeit geheimzuhalten vermochte. Mit seinem Stolz hat sich Ed Timberlake gegen diesen 30. April gewappnet, an dem sich zum 20. Mal der Fall von Saigon und der Abzug der letzten Amerikaner aus Vietnam jährt. Das Datum und die Bilder und Nachrichtenfilme von der panischen Evakuierung der US-Botschaft symbolisieren, was damals schon feststand: Die USA hatten diesen Krieg, in dem Millionen Vietnamesen und 58.000 Amerikaner getötet worden waren, verloren.

Was diesen Jahrestag für Veteranen wie Timberlake noch schwerer macht, ist die marktgerecht getimte Veröffentlichung des späten Reuebekenntnisses von Robert McNamara, Ex-Verteidigungsminister und Kriegsantreiber unter Kennedy und Johnson. „Wir haben uns geirrt“, schreibt und sagt der 20 Jahre später, „schrecklich geirrt.“ Seitdem fühlt sich Ed Timberlake wie viele andere Vietnam- Veteranen ein weiteres Mal verraten. „Überflüssig“ sei das Buch, „völlig überflüssig“. Die Fehler, vor denen McNamara mit seinem Buch weitere Generationen von Amerikanern bewahren wollte, „haben wir im Golfkrieg längst korrigiert, als unter Führung von Vietnam-Veteranen ,Operation Desert Storm‘ siegreich durchgeführt wurde“. Mit seinem Schuldbekenntnis habe der Ex-Verteidigungsminister nur unermeßliches Leid über die Familien der in Vietnam Gefallenen gebracht. „Ein Heuchler ist er. Nichts weiter.“

Das ist noch eine der harmloseren Reaktionen, die der heute 78jährige auf sein Buch „In Retrospect. The Tragedy and Lessons of Vietnam“ zu hören bekam – ob von seiten damaliger Kriegsgegner oder -befürworter. Dabei ist das Buch gewissermaßen symptomatisch für den Stand der Debatte – und für die Unwilligkeit gerade im politischen Establishment, 20 Jahre nach dem Abzug nicht nur den Fakt der Niederlage, sondern auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem angerichteten Unheil zu initiieren. McNamaras Retrospektive ist eine streckenweise unerträgliche Mischung aus dem Bekenntnis, daß die gesamte Regierungselite damals unfähig war, die Lage richtig einzuschätzen und die USA aus diesem Bürgerkrieg herauszuhalten, und dem verbohrten Insistieren, daß man damals nicht wissen konnte, was man heute weiß. Und selbst wenn man das heraufziehende Desaster geahnt habe, was McNamara zu verschiedenen Zeiten von sich behauptet, so habe es die Loyalität zum Präsidenten verboten, dies öffentlich zu äußern.

In der Vietnam-Politik stehen Bill Clinton und seine Regierung weiterhin unter dem Druck und Einfluß jener Lobby von Kriegsveteranen und Angehörigen von Soldaten, die keine Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Ländern zulassen wollen, solange nicht der Verbleib des letzten vermißten Soldaten in Vietnam aufgeklärt ist. 1.658 US-Soldaten gelten als „missing in action“ (MIA) in Vietnam, 520 werden in Laos vermißt, 81 in Kambodscha. Rund 168 Millionen Dollar haben die USA in den letzten drei Jahren für High- Tech-Suchmissionen ausgegeben, die gerade mal die sterblichen Überreste von 60 US-Soldaten gefunden haben.

Zwar setzte die Clinton-Regierung im Februar letzten Jahres im Kongreß durch, daß nach 19 Jahren das Handelsembargo gegen Vietnam wiederaufgehoben und in Hanoi eine ständige US-Vertretung eingerichtet wurde. Doch auch deren primäre Aufgabe ist die Suche nach den „MIAs“. Das Nachrichtenmagazin Time bezeichnete die Mission unlängst als „fixation“. Diese dürfte sich am ehesten durch eine andere Fixiertheit lösen lassen – diejenige US- amerikanischer Unternehmer auf Investitionen und Profite im Billiglohnland Vietnam. Mit wachsender Nervosität nehmen US-Firmen von Caterpillar bis Boeing zur Kenntnis, daß sich in Vietnam längst Investoren aus Frankreich, Hongkong und Japan die Klinke in die Hand geben, während sie darauf warten, daß der US-Kongreß die „Meistbegünstigungsklausel“ auch auf Vietnam ausdehnt.

Ed Timberlake hat unterdessen sein eigenes „Investitionsprojekt“ in Vietnam gestartet: Er baut mit Privatspenden in einem Dorf in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Demarkationslinie eine im Krieg zerstörte Schule wieder auf. Jede vorsichtige Anspielung auf mögliche Schuldgefühle weist er energisch zurück. „Mein Engagement hat mit Schuld absolut nichts zu tun. Ich will nur mithelfen, Vietnam ins 21. Jahrhundert zu bringen.“ Andrea Böhm, Washington

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