: Rituale im Fieberwahn
■ Premiere im Bremer Theater: Büchners „Woyzeck“ als drastisch-barocke Tragödie
Im Text von Georg Büchner nimmt die Schlägerei zwischen Woyzeck und dem Tambourmajor nur einige Zeilen ein. In Christina Friedrichs Inszenierung, die zur Premiere im Schauspielhaus begeistert angenommen wurde, wird daraus ein langes, sorgfältig und gekonnt choreographiertes Ritual. Ein Ritual äußerster Aggressivität, ein Ritual des Saufens, ein Ritual der Demütigung. Die Regisseurin schreckt vor nichts zurück. Es scheint kein Theaterblut zu sein, das dem armen Woyzeck da von der Stirne tropft. Die Szene ist symptomatisch für die kluge, spannungsreiche und phantasievolle Inszenierung, die – adäquat unterstützt von der Ausstattung Heidrun Schülers – im Erfindungsreichtum der Bilder und Gestalten keine Grenzen zu kennen scheint.
Die Welt Woyzecks und Maries: die Welt der armen Leut', die Welt der Ausgebeuteten, die Welt der Hoffnungslosen. Dagegen die Ausbeuter: der Arzt, der Woyzeck für sein menschenverachtendes Experiment mißbraucht, der Hauptmann, der Woyzeck Moral lehren will und der Tambourmajor, der Marie in seinen Besitz bringt. Christina Friedrich vermeidet realistische Darstellungen der sozialen Schichten, sie zeigt mit den Mitteln der Groteske und des epischen Theaters „klinische Deformationen einer monströsen Gesellschaft“ – das entspricht sicher der fieberhaft niedergeschriebenen Wahrnehmung Georg Büchners, 1836, kurz vor seinem Tod.
Die Bühne ist nur aus einer Schräge gebildet, an der Seite sitzen die Personen wie weiß gekalkte Buddhas, sehen dem Geschehen zu und springen ins Bild, wenn die Schläge der Röhrenglocken den Szenenwechsel angegeben haben. Auch der Musiker sitzt auf der Bühne. Nur Woyzeck hockt stets unter der Schräge. Mit enormer Sicherheit bewegt sich die Inszenierung zwischen Stilisierungen, Überzeichnungen, Grotesken. Aus Menschen sind Marionetten geworden, brutalste Verfremdung überall. Für die Person Woyzeck findet Christina Friedrich immer wieder auf den Boden realistischen Theaters zurück. Großartig, zu welchen Tönen und Zwischentönen hier Max Hopp findet, wie er in dieser Welt aus den Fugen immer wieder zum wirklichen Leben erwacht. Immer verrückter wird die Welt um ihn, immer mehr verliert er die Sprache, sein Elend noch benennen zu können.
Der seelische Reichtum, mit dem Max Hopp den Woyzeck ausstattet, läßt so manche Überzeichung überflüssig erscheinen. Woyzeck zeigt an seiner Reaktion, daß er es ohnehin verstanden hat. Zum Beispiel, wenn der Tambourmajor (Uwe Kramer) seinen männlichen Narzißmus vorführt und sich der Lächerlichkeit preisgibt.
Susanne Schrader als Marie läßt keinen Zweifel daran, wohin sie ihre weibliche Sehnsucht führt, nämlich zum Tambourmajor. Auch ihr Leben mit dem Kind ist ein grotesker Albtraum.
Das Kind wird dargestellt von dem Liliputaner Michael Markfort und ist gleichzeitig der Narr. Ist niemals Idylle, sondern immer seelische Bedrohung grausamster Art für Marie, aber auch für Woyzeck. Wenn der kleine Mann mit dem großen Kopf und der Baßstimme sich zwischen Marie und Woyzeck drängelt, sich die Liebe abholen will, die auch er nicht bekommt.
Maries Tod erscheint dann weniger als der von Woyzeck ausgeführte Mord, sondernals ihre Erlösung.
Büchners Woyzeckfragment, die „Fieberarbeit eines Menschen, der keine Zeit mehr hatte“ (Alfred Polgar) wird in dieser Aufführung auch noch durch andere Elemente glaubwürdig umgesetzt: die Livemusik von Ludger Nowak (Akkordeon) findet differenzierte und stets wechselnde Tempi und Atmosphären. Auch der szenische Rhythmus wechselt sprunghaft: Die Gratwanderung zwischen immer mehr verstummender Innenwelt Woyzecks und Maries und immer lauter werdender Außenwelt beherrscht die Regisseurin in jedem Moment. Unausweichlich peitscht sie den Rhythmus einer Szene vorwärts, gestaltet atemberaubende Crescendi, die die Truppe mitreißend ausführt.
Ihre Idee, die Geschichte aus realem Raum und Zeit herauszuheben, unterstützt Christina Friedrich noch dadurch, daß sie die Mordszene, zweimal, am Anfang und am Ende spielen läßt. Ausweglosigkeit, „Geschichte als Wiederholung“ nennt das Christina Friedrich, die das als pralles, fast barockes Theater spielen läßt. Die Tragödie Woyzecks und die Lust an theatralisch überzogener Zeichnung: Es ist der Charakter und die Qualität der Aufführung, daß dies kein Widerspruch ist.
Ute Schalz-Laurenze
Nächste Aufführungen 13., 14., 16.3., 20 Uhr, Schauspielhaus
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