piwik no script img

Rio-Reiser-Jubiläum IIDer Krönungsbalkon drei Stockwerke tiefer

Der musikalische Geist von Rio Reiser ist bis heute in einem Kreuzberger Mietshaus zu spüren. Hier wurde das erste Video für den "König"-Hit gedreht. Ein Bewohner des berühmten Hauses erzählt.

Die Geschichte von Rio Reiser und dem Altbau in der Muskauer Straße sprang mich schon beim Einzug gleich an der Eingangstür an. "Neues Glas aus alten Scherben" stand am Klingelschild. Was das zu bedeutet hat, wusste meine Mitbewohnerin: "Die Ton Steine Scherben waren hier." Und Dirk Schlömer von der Nachfolgeband wohne noch immer im ersten Stock.

Dass sich der Scherben-Frontmann Rio Reiser Mitte der 80er im Originalvideo zu "Ein König von Deutschland" auf dem Balkon drei Stockwerke unter meiner WG-Wohnung zum König proklamierte, habe ich allerdings erst erfahren, als ein Jahr später mein Mischpult an Silvester streikte. Die Partyrettung: Nachbar Dirk Schlömer, der zur Endphase der Scherben als Gitarrist eingestiegen war. Mit der Bitte um eine Leihgabe ging ich also zum ersten Mal durch die ehemalige Wohnung von Rio Reisers langjähriger Liebe Michael.

Während dessen Nachname heute noch immer auf dem Klingelschild neben dem von Schlömer steht, war weder von einem Rio Reiser noch von einem Ralph Christian Möbius jemals etwas zu lesen. Dabei nutzte der Sänger die Wohnung seines Freundes in dem Bilderbuch-Altbau jahrelang als Rückzugsort, wenn er in Berlin und nicht auf dem Lande weilte. Ganz nebenbei brachte er einen musikalischen Geist ins Haus, der bis heute spürbar ist.

Das Originalvideo zu "König von Deutschland" wurde größtenteils in dem Raum gedreht, den Schlömer jetzt als Büro für seine eigenen Musikproduktionen nutzt. Ein Zimmer weiter wurde das Wohnmobiliar gegen Studioequipment ausgetauscht, der kleine Balkon, auf dem sich Rio einst krönte, blieb hingegen unverändert. Leidenschaftlich musiziert wird auch eine Etage tiefer, wo im Sommer oft bis spät in die Nacht melancholische Orient-Klänge aus den offenen Fenstern der Erdgeschossräume dringen, gespielt mit Saiten-Instrumenten, für die ich keine Namen habe.

Im Internet allerdings ist Rios Video aus der Muskauer Straße nicht mehr zu sehen. Die Plattenfirma, deren Vermarktung sich Rio lebenslänglich und darüber hinaus unterworfen hat, gibt nur noch das zweite Video zu dem Gassenhauer pophistorischen Ausmaßes frei, das der Sänger 1994 für sein Best-of-Album drehte. In der neuen Version ersetzte Rio die im ursprünglichen Text von 1986 verulkten Promis zum Teil mit zeitgemäßen Gestalten wie etwa Quatschbirne Hans Meiser. Wer heute unbedarft im Netz nach "König von Deutschland" sucht, stolpert entweder über die zahlreichen Coverversionen (von WIZO bis Bill Kaulitz) oder über Rios Remake.

Dass das Gebäude in der Muskauer Straße seit langem als Musikerhaus gilt, liegt aber nicht allein an Rio Reiser. Auch mehrere Mitglieder der Scherben-Nachfolgebands "Stricher" und "Carambolage" lebten und musizierten in dem an den Mariannenplatz angrenzenden Haus. Im Laufe der 90er richtete sich dann Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten zusammen seiner damaligen Frau, der Sängerin Meret Becker, in der Wohnung im Dritten ein, in der jetzt die Schauspielerin Barbara Philipp wohnt. Außerdem, erzählt Schlömer, wohnte Caspar Brötzmann, der in den 90ern durch Noise-Gitarren-Alben wie "Koksofen" auffiel, eine Zeit lang im Haus.

Ob es nun an Rios Geist liegt oder nicht, aber in meiner WG wird auch viel gesungen und auf Akustikgitarren herumgeklimpert. Ich selbst greife allerdings, wenn es mich überkommt, lieber zu "Rio I." und höre den "König von Deutschland" auf Vinyl.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • H
    Hannes

    @ pekerst: "Ein Bewohner des berühmten Hauses erzählt." - Vielleicht saß er also doch in diesem Haus? Immerhin wohnt der Uator dort, wie man bereits dem ersten Absatz entnehmen kann. ;-)

  • P
    pekerst

    "Der musikalische Geist von Rio Reiser ist bis heute in einem Kreuzberger Mietshaus zu spüren. Hier wurde das erste Video für den "König"-Hit gedreht." Da die/der Schreiber(in) beim Verfassen des Vorspanns sicher nicht in diesem Haus, sondern im taz-Haus gesessen hat, war und ist das Haus nicht "hier", sondern "dort".