Richtungsstreit in Partei Die Linke: Protest gegen Lafontaines SPD-Hass
In elf von 16 Landesparlamenten sitzt die Linke nun. Doch auf dem Höhepunkt des Erfolgs entbrennt ein Streit über die politische Orientierung - und Parteichef Lafontaine.
Die Führung der Linkspartei kann vor Kraft kaum noch laufen. "Wir bestimmen die Agenda der deutschen Politik", sagt Oskar Lafontaine. "Wir sind die drittstärkste Kraft", sagt Lothar Bisky. "Wir haben durch unseren Druck die Bundesrepublik sozialer gemacht", sagt Gregor Gysi.
In diesem Siegesrausch geht unter, dass erst jetzt, auf dem vorläufigen Höhepunkt des Erfolgs, der Kampf um die Richtung und den Charakter der Linken beginnt. Wird die Partei so, wie Lafontaine sie will? Ein Hort sozialer Gerechtigkeit, mit der SPD als Feind, gestützt auf den diffusen Protest von links und rechts? Oder wird aus ihr eine Partei, die neben der sozialen Gerechtigkeit auch für Bürgerrechte, Frauenemanzipation und Umweltschutz kämpft? Die Brücken baut zu SPD und Grünen? Die noch Fragen hat und auf die Kompliziertheit der Welt nicht mit fundamentalistischen Gewissheiten antwortet?
André Brie, Europa-Abgeordneter und Vordenker der Linken, benennt das Problem so: "Wir kritisieren das Schwarz-Weiß-Denken des George Bush und praktizieren es selbst." Lafontaine könne die Linke nicht in eine radikale Feindschaft zur SPD führen, nur weil er selbst den Bruch zu seiner früheren Partei schwer verarbeiten kann. "In der Perspektive müssen wir das Land gemeinsam mit der SPD verändern."
In dieser Auseinandersetzung wollen die Reformpolitiker der früheren PDS, zu denen Brie gehört, nicht länger stillhalten. Ihr Widerstand gegen die Dominanz des Partei- und Fraktionschefs Oskar Lafontaine wächst. Sie nervt, dass allein Lafontaine definiert, was "links" sei. Sie kritisieren, dass er links und rechts des Weges alles einsammelt, was der Linkspartei Erfolg verspricht. "Einkaufswagenpolitik" nennen sie das süffisant. Und die Reformer sind bestürzt, wie abfällig ihr Vorsitzender über das Führungspersonal der Konkurrenz spricht. Merkel, Beck, Westerwelle - für Lafontaine sind alle "Totalausfälle", "Versager", "dumm wie Schifferscheiße".
Dabei ist die Grenze für die Lafontaine-Kritiker klar: Keine direkten politischen Attacken, keine persönlichen Angriffe. Dafür ist Lafontaine viel zu wichtig für die Partei, vor allem für ihren Erfolg im Westen. Und dafür fehlt den Reformern auch ein Anführer. Bisky, der Parteichef, moderiert zwischen alter PDS und alter WASG. Gysi, der Fraktionschef, versteht sich als Dolmetscher, er erklärt dem ostunerfahrenen Lafontaine die PDS und seinen Ostgenossen die gute Absichten Lafontaines. Dietmar Bartsch als Bundesgeschäftsführer kann nicht den Flügelmann spielen.
Sichtbarstes Zeichen für das Ende der Zurückhaltung der Reformlinken ist eine ungewöhnliche Personalentscheidung. Katina Schubert, Vizechefin der Linken, kündigt im taz-Interview ihren Rückzug aus der Führung an. Sie will sich in den Richtungskampf der Partei stürzen. Das könne sie besser, wenn sie keine Rücksicht auf ihr Amt nehmen müsse, sagt sie.
Die Reformer wollen Lafontaines Geschichtsvergessenheit nicht länger hinnehmen. Der Parteichef hat zwar schnell und hart reagiert, als es darum ging, die DKP-Frau Christel Wegner aus der niedersächsischen Linksfraktion auszuschließen. Aber wann immer sonst in der Partei über Stasi, DDR-Nostalgie und den antistalinistische Grundkonsens gestritten wird, winkt Lafontaine genervt ab. Nicht sein Ding. Die Westgenossen interessiere die "neue Partei" und die "soziale Gegenwart". Die "Vergangenheitsdebatten" eignen sich nur dafür, so Lafontaine, der Linken "immer wieder die alten Geschichten der SED an die Backe zu kleben".
Eine Reihe jüngerer Reformpolitiker, unter ihnen die Landeschefs Klaus Lederer (Berlin) und Matthias Höhn (Sachsen-Anhalt) sowie die Bundestagsabgeordneten Jan Korte und Michael Leutert, hält die Debatte mit dem Ausschluss von Wegner nicht für beendet. "Hier geht es nicht vornehmlich um unser Verhältnis zur DKP oder der von ihr mehrheitlich vertretenen Verklärung des Staatssozialismus", schreiben sie in einem Papier, das der taz vorliegt. "Es geht um unsere eigene Geschichte und die zentrale Verbindung von Sozialismus und Demokratie: Das Grundverständnis von Sozialismus - das ist für uns der Kern der Auseinandersetzung." Die Geschichtsdebatte der PDS sei damit endgültig im Westen angekommen. Sie sollte ein zentraler Gegenstand der Diskussion über das neue Grundsatzprogramm werden. Dabei müsse es für die Partei eine klare Übereinstimmung geben: "Dass jede Art von Sozialismus für uns die Existenz von 'Organen', 'Komitees' und 'Diensten' ausschließt, die über 'richtig' und 'falsch' von Positionen und Sichtweisen entscheiden."
Der Kampf um den künftigen Kurs der Partei hat auch eine machtpolitische Seite. Auf dem Parteitag in Cottbus im Mai wird eine neue Führung gewählt. Einen nach 50 Prozent PDS und 50 Prozent WASG quotierten Vorstand wie bei der Parteigründung im Juni 2007 wird es nicht mehr geben. Es gilt das freie Spiel der Kräfte. Zum ersten Mal auf einem Parteitag dürfte die Dominanz der Reformer der alten PDS gebrochen werden - und damit auch im neuen Vorstand.
Lafontaine macht seine Truppen schon heiß. Auf einer Zusammenkunft mit den Chefs der West-Landesverbände vor zwei Wochen in Frankfurt am Main erklärte er ihnen, was von den Reformern im Osten, insbesondere denen in Berlin, die mit der SPD regieren, zu halten sei: nichts. In einer wütenden Tirade beschimpfte er sie als "rechte Sozialdemokraten". Lafontaine forderte die Westgenossen auf, in ihren Landesverbänden endlich mehr Mitglieder zu gewinnen. Dann könne seine Mehrheit in der Partei dauerhaft gesichert werden.
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