: Rezepte gegen 16.000 Euro Schuld pro Nase
Schluss mit der Vertuschung, her mit der Verantwortung: Die Banken-Aktivisten luden zum „Tribunal“ ins Rathaus Schöneberg. Am Ende erging ein „Urteil im Namen des Volkes“. Und Peter Grottian kauft Bankgesellschaft-Aktien
Einen symbolträchtigen Rahmen hatten sie da gewählt: Ausgerechnet im Rathaus Schöneberg hielten die beiden Bürgerinitiativen, die sich der Aufarbeitung des Bankenskandals widmen, am Mittwoch ihr erstes gemeinsames politisches „Tribunal“ ab – über Schulden und Schuld an der Milliardenpleite der Berliner Bankgesellschaft. „Wir wollen gezielt an öffentlichen Orten Aktionen machen, die mit dem Filz in Berlin zusammenhängen“, begründet Hans-Jürgen Lindemann von der Initiative „Bürger gegen den Bankenskandal“ die Wahl des Willy-Brandt-Saals.
Dort beteiligten sich neben Finanzexperten sogar die Berliner Symphoniker mit einem Bläserensemble am Protestabend: Schließlich hat der Senat dem Klangkörper vor kurzem die Zuschüsse gestrichen. „Unser Schicksal steht im Kontext des Skandals. Doch wir geben nicht auf, und das wird in der Stadt spürbar werden“, verkündete Orchesterleiter Andreas Moritz und übergab an Lea Rosh.
Ziel dieses neuesten außerparlamentarischen Vorstoßes: alternative Lösungen der Finanzkrise stärker in die Debatte zu bringen. Und die Organisatoren hatte sich einiges einfallen lassen, um der abstrakten Welt von Immobilienfonds und Bilanztricks Leben einzuhauchen. Noch bevor die ersten Experten ihre Modelle präsentierten, stürmten SchauspielschülerInnen durch den mit 500 Gästen proppenvollen Saal und warfen Berlin-Fähnchen in die Menge. Dann skandierten sie als Sprechchor „Die Lösung“ von Regisseur Günter Jeschonnek: Transparenz der Zahlen, Entflechtung der Pleite-Bank, Schluss mit Vertuschungsmanövern und ein deutlich härteres Vorgehen gegen die gut abgesicherten Exmanager, so einige Schlagworte.
Dann zeigte Finanzexpertin Samirah Khenawi die finanziellen Abgründe auf, an deren Rändern die Stadt entlangtaumelt. „Ich fordere nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung der Bankengesetze“, rief sie. Durch „kriminelle Finanztransaktionen“ sei eine „Finanzblase“ entstanden, die „inflationären Druck“ ausübe. Ohne konsequente Wertberichtigung von völlig übernotierten Immobilienfonds sei die „Währungsstabilität des gesamten Euro-Wirtschaftsraums“ gefährdet. Eine Insolvenz – da war sie sich mit den anderen Experten einig – sei nur die zweitbeste Lösung. Denn „dann müssen alle zahlen“.
Und das könnte teuer werden: Schon jetzt lasten laut Lea Rosh auf jedem Berliner „vom Säugling bis zum Greis“ etwa 16.100 Euro Landesschuld, steigt die Gesamtverschuldung pro Sekunde um 150 Euro und liegt der Schaden des Bankenskandals bei etwa 6 Milliarden Euro. Löcher, die immer mehr Geld aus der Landeskasse stopfen soll. Da fragte sich auch Professor Albrecht Dehnhard: „Gehört nun die Bank dem Land oder das Land der Bank?“. Das Publikum war schockiert, blieb, auch dank gelungener Schauspieleinlagen, tapfer bis zum Schluss dabei und stimmte „im Namen des Volkes“ fast einstimmig dem „Tribunal“-Text zu. Darin fordern die Initiatoren vom Senat die Offenlegung der Finanzen und einen Plan zum Abwenden einer Insolvenz, vom Abgeordnetenhaus das Ende der Risikoabschirmung und von der Bundesregierung, ihre „gesamtstaatliche Verantwortung in Sachen Bankgesellschaft“ wahrzunehmen.
„Schon in wenigen Tagen überreichen wir Klaus Wowereit, Walter Momper und Bundesfinanzminister Eichel dieses symbolische Urteil als politische Forderung“, kündigte Hans-Jürgen Lindemann an. Außerdem warte er gespannt auf die Stellungnahme des Senats zur Ablehnung des Volksbegehrens vor dem Landesverfassungsgericht: Bis zum 28. Mai muss die Regierung diesen Schritt ausführlich begründen. Sein Mitkämpfer Peter Grottian will dagegen den Pleite-Bankern Anfang Juli nicht mehr nur auf Spaziergängen zu den Bankervillen im Grunewald richtig auf die Pelle rücken. „Wir kaufen uns gerade Bankgesellschaft-Aktien, damit wir auf der Aktionärsversammlung am 2. Juli die Vorstände richtig zur Rechenschaft ziehen können“, sagte der Politikprofessor – und rief, sichtlich bewegt, die Gäste zum Widerstand gegen die unsolide Finanzpolitik des Senats auf.
TOBIAS VON HEYMANN