■ Revolutionärer 1. Mai: Hinterhergetrottet
Die ritualisierten Formen der 1.-Mai-Kundgebungen haben keine Bedeutung mehr. Waren die Massenabmärsche im Bierdampf ewiger Kampfesbereitschaft gegen die Blutsauger des Kapitals schon lange tot, so bildet die heutige „We shall overcome“- Nachhut im Gefühl richtiger Mission nur noch einen Haufen Versprengter, die nicht mehr wissen, was los ist. Ganze 2.000 Menschen konnte der Deutsche Gewerkschaftsbund für seine Super-Mai-Demonstration in Berlin mobilisieren. Es müssen die ganz Harten gewesen sein. Wer trottet schon freiwillig hinter der Parole her: „Geliebt, gehaßt, gebraucht – die Arbeit“? So blöd ist das Proletariat nicht. Es hat wirklich andere Sorgen.
Auch beim nächtlichen Räuber-und-Gendarm-Spiel am Kollwitzplatz lief alles auf ein Zwangsverhalten hinaus. Auf der einen Seite will die Polizei nicht lernen, daß ein paar knallende Festbierflaschen nichts mit revolutionärer Action gemein haben. Darum feste druff. Auf der anderen Seite durchschaut man noch immer nicht, daß Bullen zum politischen Gegner wenig taugen.
Doch die Verabschiedung des revolutionären 1. Mai bedeutet nicht sein Ende. Bis andere Formen gefunden sind, wird der Zwischenraum von wilden Kids, neostalinistischen RIM-Fanatikern, Outlaws, Kiezfreaks oder immer wieder sich rhythmisch bewegenden Widerstandskämpfern und Antifas jeder Coleur ausgefüllt. Es wird also nicht schlechter, sondern insgesamt anarchischer. Und das ist nicht unbedingt das Schlechteste. Rolf Lautenschläger
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