: „Rettet Sightseeing den Planeten?“
Ökotourismus – ein neues Zauberwort im Reich der touristischen Alternativen ■ Von Wolfgang Strasdas
Aus den USA – wie sollte es auch anders sein? – kommt ein neuer Begriff in die Tourismusdebatte: Ökotourismus. Ein neuer, zeitgemäßer Name für den längst ausgelaugten „sanften“ Tourismus? In Nordamerika und auch in vielen lateinamerikanischen Ländern, allen voran Costa Rica, ist ecotourism bzw. ecoturismo in den letzten Jahren zu einem buzzword (Modewort) geworden. Eine Art Wundermittel. Man erhofft sich davon die Lösung zwar nicht aller, aber doch vieler Umweltprobleme dieser Erde. Eine US-amerikanische Fachzeitschrift für Landschaftsarchitektur fragte beispielsweise: „Can Sightseeing Save the Planet?“ Andere, vor allem Reiseveranstalter, setzen hinter diesen Satz schon gar kein Fragezeichen mehr, sondern vermarkten ihre Öko-Reiseangebote in exotische Länder als Beitrag zum Naturschutz („Travel with Mother Nature“). Auch Wissenschaftler beschäftigen sich zunehmend mit der neuen Reiseform, bevorzugt auf internationalen Ökotourismus-Konferenzen, die auf der ganzen Welt, vom brasilianischen Manaus bis Tasmanien, und meist in luxuriösen Hotels stattfinden.
Was unter Ökotourismus genau zu verstehen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander – ein Problem, das einem schon aus der hiesigen Diskussion über sanften Tourismus vertraut ist. Als der Begriff gegen Ende der sechziger Jahre zum erstenmal geprägt wurde, war seine Botschaft die einer umfassenden Transformation des ökologisch und sozial unsensiblen Massentourismus hin zu einer bewußten, umwelt- und sozialverträglichen Form des Reisens. Heute bezieht sich Ökotourismus im allgemeinen nur noch auf Nischen des Reisemarktes, nämlich auf Nationalparks, „unberührte“ Wildnis und andere naturnahe Gebiete in aller Welt – je abgelegener, desto besser. Dies wird allerdings immer noch mit ökologischen und sozialen Ansprüchen verbunden.
So definiert die Ecotourism Society, eine internationale, in den USA ansässige Non-profit-Organisation, Ökotourismus als „verantwortungsvolles Reisen in Naturgebiete, welches die Umwelt schützt und zum Wohlstand der lokalen Bevölkerung beiträgt“. Der hierzu erforderliche „neue Öko- Traveller“ wird nicht nur gefordert, sondern bestimmt nach Ansicht der Society schon zu einem beträchtlichen Teil die Nachfrage. Allerdings ist man sich sehr wohl darüber im klaren, daß mit dem Etikett Ökotourismus viel Schindluder getrieben wird. Um der kommerziellen Ausbeutung von Natur und der Übergehung einheimischer Interessen zu begegnen, werden deshalb strikte Reglementierungen, die Definition ökologischer und sozialer Tragfähigkeitsgrenzen sowie Information und Ausbildung der Beteiligten verlangt.
Selbst die engagierteren Amerikaner haben offensichtlich nicht das geringste Problem damit, daß Ökotourismus fast ausschließlich Ferntourismus ist und daß nicht nur bei der Anreise, sondern auch im Zielland exzessiv geflogen wird. Auch der durchschnittliche Öko- Traveller hat eben wenig Zeit (dafür gibt es den sehr bezeichnenden Begriff Eco-Tripping) und unterscheidet sich in dieser Hinsicht ganz und gar nicht vom verpönten Massentouristen, der sich für zehn Tage in der Karibik an den Strand legt.
Zweifel kommen auch angesichts des Trends auf, daß der „klassische“ Ökotourist mit hohem Umweltbewußtsein, speziellem Naturinteresse und niedrigen Komfortansprüchen womöglich auf dem besten Wege ist, selbst zu einer bedrohten Spezies zu werden. Verschiedenen Prognosen zufolge sind die größten Wachstumspotentiale in diesem Tourismussegment bei denjenigen Leuten zu erwarten, die einfach nur mal eine ungewöhnliche Reise machen wollen und deshalb nach Brasilien, Kenia oder Malaysia fliegen, oft in Zusammenhang mit „konventionellem“ Strandurlaub. Außerdem werden Naturschutzgebiete in aller Welt zunehmend von Freizeitsportlern, wie Tauchern, Schlauchboot-Raftern, Kletterern, Mountainbikern und Gleitschirmfliegern heimgesucht. Die meisten Reiseveranstalter preisen auch dies unter Ökotourismus an.
Trotz dieser Einwände sind bedeutende internationale Naturschutzorganisationen wie der WWF (World Wild Fund for Nature) oder IUCN (International Union for Conservation of Nature) auf den Ökotourismus-Zug aufgesprungen und haben ihn zu einem wichtigen Bestandteil ihrer Strategien, vor allem in Entwicklungsländern, gemacht. Sie argumentieren, daß Naturschutzgebiete in der Dritten Welt keine Überlebenschance hätten, wenn sie nicht in irgendeiner Form Einkommen produzierten. Viele Nationalparks existieren nur auf dem Papier (sog. paper parks), da es kein Geld gibt, um sie wirklich zu schützen. Die meisten Entwicklungsländer haben zudem andere Sorgen: Der Kampf gegen die Bevölkerungsexplosion, Armut und die katastrophale Umweltsituation in den Städten haben selbst bei wohlmeinenden Regierungen eine höhere Priorität als der Schutz von Nationalparks. Auch die einheimische Bevölkerung kann es sich häufig nicht leisten, auf Naturschutz Rücksicht zu nehmen, wenn es an den nötigsten Lebensgrundlagen fehlt. Angesichts dieser Situation – so IUCN und WWF – sei eine wirtschaftlich einträgliche, kontrollierte touristische Entwicklung allemal verträglicher als Abholzung, illegale Land- und Viehwirtschaft, Wilderei oder Abbau von Bodenschätzen mitten in unter Schutz gestellten Gebieten.
Ob diese Rechnung aufgeht, ist umstritten. Von Fall zu Fall liegen sehr unterschiedliche Erfahrungen vor. Während einige Naturlandschaften kaum erschlossen sind, werden die Nationalparks Kenias, Costa Ricas, Nepals oder die ecuadorianischen Galapagosinseln von Ökotouristen überrannt – mit zum Teil verheerenden Folgen für die Umwelt: gestreßte Tiere in Kenias Wildreservaten, hoher Brennholzverbrauch im Himalaya, Wasserverschmutzung auf den Galapagos, Müllprobleme und zertrampelte Vegetation allüberall.
Ein weiteres Problem besteht darin, daß nur ein Drittel der Ausgaben für eine in Europa oder Nordamerika gebuchte Öko-Reise überhaupt im Zielland ankommt. Die anderen zwei Drittel gehen für den Flug und den Reiseveranstalter drauf. Von den übrigen 30 Prozent verbleibt ein Großteil wiederum in den Hauptstädten der Entwicklungsländer, so daß nur ein Bruchteil die eigentlichen Zielgruppen, nämlich die Naturschutzbehörden und die einheimische Bevölkerung, erreicht.
Es gibt jedoch auch Gegenbeispiele, bei denen die negativen Umweltauswirkungen reduziert und die lokale Bevölkerung stärker am Tourismusgeschäft beteiligt werden konnten, wie das Annapurna Conservation Area Project in Nepal, das Campfire-Projekt in Simbabwe oder der Tortuguero-Nationalpark in Costa Rica. Die Schlüssel für solche Erfolge sind: sorgfältige Planung, verbindliche Reglements und Partizipation der Einheimischen.
In bezug auf europäische Zielgebiete wird Ökotourismus als Reisesegment kaum eine Rolle spielen, da wir es bereits geschafft haben, ursprüngliche Naturlandschaften – mit Ausnahme einiger Nationalparks – weitgehend zu beseitigen. Ob diese Art der „Expeditionstourismus“ in die „unberührte Wildnis“ Nordamerikas, Australiens oder der Dritten Welt zur Rettung oder zur Zerstörung des Planeten beiträgt, wird davon abhängen, ob es glingt, Umweltstandards durchzusetzen und seine wirtschaftlichen Potentiale tatsächlich für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung zu nutzen.
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