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Retourkutsche ins Abseits

■ Gewerkschafts-Gerangel im Einzelhandel: HBV schließt ab, DAG will streiken / „Revanche" für Niedersach sen

Der gewerkschaftliche Grabenkrieg in Bremen geht weiter. Als eine „Retourkutsche für Niedersachsen“ bezeichnen Gewerkschafter der HBV (Handel, Banken, Versicherungen) das Vorgehen der DAG (Deutschen Angestellten Gewerkschaft) in den Tarifverhandlungen des Einzelhandels. Denn während die HBV am späten Mittwoch einen neuen Tarifvertrag abschloß, verließ die DAG die letzte Verhandlungsrunde und kündigte eine Urabstimmung und Streiks an. Eine Stellungnahme der DAG zu den Tarifverhandlungen gab es gestern nicht. Das einzige, was bei der DAG in Bremen und Hannover lief war der Anrufbeantworter.

In Niedersachsen bestreikt die HBV den Einzelhandel. Die DAG dagegen hat nach Ansicht der HBV einen „Billigabschluß“ zugelassen.

Der neue Tarifvertrag der HBV für die rund 35.000 Beschäftigten im Bremer Einzelhandel sieht eine Lohnerhöhung um 3,3 Prozent vor. In der Regelung wurde das heiße Eisen Karenztage verschoben. In einer „Gemeinsamen Erklärung der Tarifparteien“ haben Arbeitgeber und —nehmer ihre Bereitschaft bekundet, im Falle der Einführung von Karenztagen unverzüglich Tarifverhandlungen aufzunehmen. „Das bedeutet, daß wir dann frei sind, gegen die Karenztage zu streiken,“ erklärte Klaus Busch von der HBV Bremen. „Alle Regelungen zu den Karenztagen, die wir jetzt geschlossen hätten, wären mit dem Bonner Gesetz ungültig“.

Der Rückzieher der DAG könnte in Bremen zum furiosen Eigentor werden. Denn die An

Im Bremer Einzelhandel grummelt es hinter den SchaufensternF: Oberheide

gestelltengewerkschaft ist nach Aussagen der HBV in keinem einzigen Betrieb so stark, daß sie einen Streik erfolgreich führen könnte. Für die HBV ist klar: „In der Sache gibt es keine Ziellinie über unserem Verhandlungsergebnis“ — die DAG werde entweder schlechter dastehen oder auf HBV-Kurs einschwenken.

Die Forderung der DAG nach 6,5 Prozent mehr Lohn und Festschreibung einer Ablehnung von Karenztagen im Tarifvertrag hält der HBV-Landesvorsitzende für Bremen und Niedersachsen und

Verhandlungsführer Peter Brenner schlicht für unrealistisch. Auch Heiko Eickhoff, HBV-Betriebsrat bei „Leffers“ versteht die Tarifwelt nicht mehr: „Ich muß mich auch vor meine Leute hinstellen und ihnen erzählen, daß sie im nächsten Jahr effektiv weniger verdienen. Aber ich kann sie auch nicht umsonst in einen Streik treiben, dann steinigen sie mich.“

Die VerkäuferInnen in den großen Bremer Kaufhäusern bekamen gestern zur Frage des Gewerkschafts-Gerangels den

Mund nicht auf. „Dazu will ich lieber nichts sagen“, „Ich bin nicht in der Gewerkschaft“ oder „Ich weiß darüber nichts“ waren die Antworten. Nur ein HBV- Betriebsrat bei „Horten“ meinte: „Die DAG nimmt den Mund zu voll mit ihrer Streikdrohung. Die hat doch überhaupt keine Leute hinter sich.“

Der Ausstieg der DAG wird in HBV-Kreisen als Fortsetzung des gewerkschafltichen Tauziehens um Macht und Mitglieder gewertet. „Die wollten uns ans Bein pinkeln und uns in einen Streik

treiben, der uns geschadet hätte“, heißt es von Seiten eines Gewerkschaftsfunktionärs der HBV. Ein Betriebsrat von „C&A“, wo die Tarife nicht über die Gewerkschaften, sondern intern ausgehandelt werden, vermutet in dem Schachzug der DAG eine Taktik für die anstehenden Wahlen zur Arbeiter- und Angestelltenkammer. „Den Beschäftigten ist sowieso nicht mehr zu vermitteln, warum die Gewerkschaften in diesen internen Machtkämpfen so handeln.“ Bernhard Pötter

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