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■ Nebensachen aus Buenos AiresRestaurantmeile in alten Hafenschuppen

Nicht gerade ein standesgemäßer Zugang. Um zu den zu Restaurants umgewandelten Hafenschuppen im Puerto Madero zu gelangen, müssen Besucher, die ohne Auto kommen, das Niemandsland zwischen der Straße Paseo Colon und der nächsten Avenida durchqueren. Nach einem kräftigen Sommerregen sind die Pfützen dort knietief. Ständig gilt es, auf der Hut zu sein, nicht über die Schienen der alten Eisenbahn zu stolpern, die noch heute gelegentlich genutzt werden, um Containerzüge zum Hafen zu ziehen. Nach der kurzen Odyssee durch die Wildnis inmitten der Stadt sind versaute Schuhe und schmutzige Hosen garantiert. Und das ist verheerend. Denn im Puerto Madero speist nicht einfach irgendwer.

Seit fast drei Jahren flanieren die Argentinier in Buenos Aires an den alten Hafendocks vorbei. Die backsteinfarbenen Schuppen wurden zu einer nicht endenwollenden Restaurantmeile ausgebaut und sind inzwischen fashion, wie man es hier nennt – in Mode. Und das bedeutet, daß selbst im Hauptferienmonat Januar ein Tisch ohne Reservierung nicht zu ergattern ist. Die Wirtschaftskrise kann den Bewohnern von Buenos Aires das Warmwasser in der Wohnung abdrehen, aber gut essen werden sie wohl immer. Erstaunlicherweise ist das im Puerto Madero nicht ganz einfach. Die Restaurants lauten auf Namen wie Happening, Rodizio oder McDonalds.

Aber nicht nur essen kann man im Puerto Madero. Die Redaktion der Gelben Seiten hat dort ihr Büro aufgeschlagen. Zwischen den Gaststätten machen sich Filialen von Autohäusern breit. So speist man in Nachbarschaft eines VW-Golfs, der einen beim Kauen daran erinnert, daß der Rückweg für Unmotorisierte wieder durch die Ödnis geht. Für wen es auch etwas mehr Auto sein darf, gibt es im ersten Dock einen Alfa-Romeo-Händler, gleich neben einem der feinsten Restaurants des Freßparadieses.

Noch heute heißen die Einwohner von Buenos Aires Porteños, was so viel heißt wie „einer vom Hafen“. Doch die Stadt hatte nie viel mit dem Rio de la Plata oder dem Hafen im Sinn. Sie kehrt ihm den Rücken zu. Im Puerto Madero kann man jetzt mit Sicht aufs Wasser spazieren gehen, auch wenn es nur ein zu einem Yachthafen umgewandeltes Hafenbecken ist.

Der Puerto Madero ist das Ergebnis der Staatsreform von Präsident Carlos Menem. Bei der Privatisierung der Staatsbetriebe befanden Beamte des Wirtschaftsministeriums, daß der Stückguthafen nicht mehr rentabel sei. Sie verscherbelten die alten Hallen, die einst den Reichtum von Buenos Aires repräsentierten, zu einem symbolischen Preis. Die alten Kräne, die früher die Stückgutfrachter löschten, wurden zur Zierde stehen gelassen. Einige tragen einen Stempel: „Made in GDR.“ Gleich daneben hat die argentinische Gorch Fock, die Fregatte Sarmiento, festgemacht und ist zur Besichtigung freigegeben.

Die Mieten sind hoch im Puerto Madero, und einige Restaurants wechseln regelmäßig den Besitzer. Um im Konkurrenzkampf überleben zu können, hat man sich bei „Happening“ etwas besonderes ausgedacht. Ganz klein, auf der Unterkante der Speisekarte steht nicht etwa, wie man es erwarten würde, „Sämtliche Preise enthalten Mehrwertsteuer“, sondern: „Unsere Rezeptionisten kleiden sich bei ,Via-Via‘ ein.“ Was bei Nachrichtensendungen im Abspann schon gang und gäbe ist, zieht jetzt auch in die Speisekarten ein. Dabei sehen die Rezeptionisten in ihren „Via-Via-Anzügen“ eher bemitleidenswert aus. Die mausgrauen Zweireiher mit den schwarzen Knöpfen sind entweder an den Ärmeln zu kurz oder an der Schulter zu dick gepolstert. So könnten die Rezeptionisten auch locker als Leibwächter oder Rausschmeißer durchgehen. Ingo Malcher

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