piwik no script img

Resozialisierung durch FußballLerneffekte innerhalb der Mauern

Die Sepp-Herberger-Stiftung will mithilfe des Fußballs zur gesell-schaftlichen Wiedereingliederung junger Strafgefangener beitragen. Man denkt über den Sport hinaus.

Olli Kahn in der JVA Iserlohn im Rahmen des Projekts „Anstoß für ein neues Leben“ der Sepp-Herberger-Stiftung. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Kluft, die es zu überwinden gilt, ist auch hier in der betagten grauen Turnhalle deutlich zu spüren. Auf der linken Seite vor dem Podium sitzen die Gastgeber, die Häftlinge der Jugendstrafanstalt Plötzensee in Berlin. Zu Gast auf der rechten Seite sind zahlreiche Medienvertreter und diejenigen, die es sich im Rahmen eines Projekts der Sepp-Herberger-Stiftung zur Aufgabe gemacht haben, mithilfe des Fußballs Brücken in die Gesellschaft zu bauen.

Die Stimmung ist bedrückend. Daran ändern auch die Organisationsbanner nichts, die die Sepp-Herberger-Stiftung, der Berliner Fußball-Verband (BFV) und die Agentur für Arbeit hereingetragen haben. Der einzige Schmuck, der in dieser Halle als Dauereinrichtung von den vergitterten Fensterluken herunterhängt, sind die verblassten Grinsegesichter, die der WM 2006 in Deutschland als Logo dienten. Selbst die Torwand, die hier für etwas Auflockerung sorgen soll, ist vergittert.

„Anstoß für ein neues Leben“ heißt die Initiative, die in Nordrhein-Westfalen gestartet wurde und nun in Rheinland-Pfalz und in Berlin fortgesetzt werden soll. Christian Saborowski ist an diesem Tag nicht zufällig der Mittelsmann, der die Häftlinge auf dem Podium vertritt.

Der 22-Jährige hat bereits für die Zeit nach seiner Entlassung die Perspektiven vorzuweisen, die das Projekt einem ausgewählten Kreis von Häftlingen vermitteln will: Saborowski wird wie bereits jetzt zu seinen Freigangzeiten bei den Reinickendorfer Füchsen einen sozialen Anschluss haben, und zudem wartet ein Ausbildungsplatz als Trockenbaumonteur auf ihn.

Die Stiftung

Seit 1977 gibt es die Stiftung, die der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger zusammen mit dem DFB ins Leben gerufen hat. Das Stiftungsvermögen betrug zunächst eine Million Mark. Aus Herbergers Nachlass kamen später weitere 2,15 Millionen Mark hinzu. Die laufenden Förderprojekte, unter anderem die Blindenfußball-Bundesliga, werden hauptsächlich aus Geldern finanziert, die der DFB bei Benefizländerspielen einnimmt. Zusätzlich profitiert die Stiftung von jeder Strafe, die einem Klub aufgebrummt wird. 2011 kassierte der DFB mehr als eine Million Euro Strafgelder. Die flossen zur Hälfte an die Bundesliga-Stiftung. Die andere Hälfte ging zu gleichen Teilen an die Egidius-Braun-, die Sepp-Herberger-, die Franz-Beckenbauer-, die Fritz-Walter- und die DFB-Kulturstiftung.

Partnerschaft zwischen BFV und Jugendstrafanstalt

Tobias Wrzesinski, der stellvertretende Geschäftsführer der Sepp-Herberger-Stiftung, erklärt dazu: „Wir führen vieles zusammen, was in vielen Bundesländern schon gemacht wird.“ In Berlin besteht zwischen dem BFV und der Jugendstrafanstalt schon seit 1996 eine Partnerschaft. Der BFV stellt seither einen Trainer für ein wöchentlich einstündiges Training, bemüht sich um die Wiedereingliederung der Insassen in Fußballvereine, bietet Trainer und Schiedsrichterausbildungen an, vermittelt Freundschaftsspiele mit Berliner Klubs.

Unter den Fittichen der Sepp-Herberger-Stiftung wird das Team der bisherigen Fußball-AG künftig Anstoß-Mannschaft heißen. Mitmachen darf, wer eine günstige Sozialprognose hat und für den Arbeitsmarkt nach der Entlassung zur Verfügung steht. Denn die Stiftung hat an ihren jeweiligen Projektstandorten die Agentur für Arbeit für ein spezifischen Betreuungsangebot mit ins Boot geholt.

In Berlin ist auch das nichts Neues. Wie Janina Deininger, die Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit der Jugendstrafanstalt, berichtet, habe man als einziges Bundesland bereits zwei Mitarbeiterinnen der Agentur im Haus, die sich intensiv um die Häftlinge kümmerten.

Nichtsdestotrotz begrüße sie die Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung, weil sie strukturelle Kontinuität in diesem Bereich schaffe. Vielleicht sei der organisierte Sport gar prädestiniert dazu, solche vielschichtig angelegten Anstöße zu geben. Deininger sagt, gesellschaftlich seien Sportangebote in Jugendgefängnissen eher akzeptiert als Ausbildungsangebote.

Evaluierung des Pilotprojekts in NRW

Es gehe dabei auch um Lerneffekte innerhalb und außerhalb der Mauern. „Fußball ist sehr beliebt unter den Jugendlichen hier“, erklärt Deininger. „Wenn man sie über ihre Freizeitinteressen erreicht, dann hat man auch den Schlüssel, um ihnen soziale Kompetenzen nahezubringen.“

Tobias Wrzesinski verweist in diesem Zusammenhang auf gute Ergebnisse, die eine Evaluierung des Pilotprojekts in Nordrhein-Westfalen zum Vorschein gebracht hätten. Veröffentlichen könne man diese jedoch nicht, sagt er, weil das NRW-Justizministerium die sensiblen Daten unter Verschluss halten wolle.

Eine erfolgreiche Resozialisierung zu messen ist ein komplexes und damit auch hinterfragenswertes Unterfangen. Es lässt sich nicht viel über einen Kamm scheren, auch wenn das bei Debatten um den Jugendstrafvollzug sehr populär ist. Auch die Sepp-Herberger- Stiftung kommt nicht ganz ohne populistische Elemente aus.

Oliver Kahn, den man als Paten für die Anstoß-Initiative engagiert hat, ist es gelungen, sein auch in Buchform vorliegendes Motivationsprogramm „Du packst es“ in das Projekt zu implementieren. Jugendlichen solle damit geholfen werden, ihre Ziele zu verwirklichen. Ob die Schattenseiten des Lebens, die Motivator Kahn erlebt haben will, mit denen von jugendlichen Strafgefangenen gleichgesetzt werden können, darf zumindest bezweifelt werden.

Mittel sind knapp

Die Integrationskraft von Sport steht indes auch auf politischer Ebene weitestgehend außer Frage. In einem Gesetzentwurf von 2007 für den Jugendstrafvollzug haben sich neun Landesjustizminister aufgrund hoher Rückfallquoten unter anderem darauf geeinigt, das Sportangebot auf zwei Stunden pro Woche festzuschreiben. Lediglich in Bayern findet der Sport im Strafvollzugsgesetz keine Erwähnung.

Für die Anlagen und das Personal muss allerdings entsprechend Geld aufgewendet werden. Die Mittel und die Räumlichkeiten, um die überall gefeilscht wird, sind äußerst knapp. So will der Berliner Fußball-Verband seit Längerem schon ein Team der Jugendstrafanstalt in den normalen Spielbetrieb eingliedern, wie das in Hamburg bereits seit 30 Jahren der Fall ist.

„Wegen des Sicherheitsaufwands und des dadurch benötigten Personals ist das aber eine sehr schwierige Angelegenheit“, erzählt Gerd Liesegang, der Vizepräsident des BFV. Unterstützung von außen ist da stets willkommen. Immerhin 80.000 Euro hat die Sepp-Herberger-Stiftung für ihr Projekt eingeplant.

Im Vergleich zu den 2,5 Millionen Euro, die der rot-rote Senat in Berlin vor gut drei Jahren investierte, um eine höchst umstrittene zusätzliche Innenzaunanlage aufzustellen, ist das eine eher niedliche Summe. Das zwingt zur Bescheidenheit: Eine Stunde pro Woche darf die 20-köpfige Anstoß-Mannschaft in der Haftanstalt trainieren.

Der Trainer ist der einzige Nichthäftling

Ihr Coach ist der 70-jährige Werner Poel, der sich bei der Vorstellung des Projekts in der Turnhalle als einziger Nichthäftling zu seinem Team gesellt hat. „Eine Stunde“, moniert er, „ ist doch eigentlich viel zu wenig.“ Weil die Veranstaltung genau auf den Trainingstag gelegt wurde, müssen sie diese Woche sogar ganz darauf verzichten.

Auch wenn diese Stunde lächerlich erscheinen mag, sei sie den Insassen viel wert, wie auch Saborowski versichert. Es ist nur ein kleiner Schritt, der zur Überwindung der Kluft zwischen drinnen und draußen durch das Angebot der Sepp-Herberger-Stiftung begünstigt wird. Aber Janina Deininger wirbt dafür, auch kleine Schritte ernst zu nehmen, weil hinter ihnen, wie sie betont, sehr viel Arbeit stecke.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!