Resistente Keime : Zurück ins medizinische Mittelalter
Was kann die Regierung gegen das Versagen von Antibiotika tun? „Sich mit der Agrarlobby anlegen“, sagt der Bremer Arzt Martin Eikenberg im Interview.
taz.FUTURZWEI: Herr Eikenberg, vor Kurzem twitterte der österreichische Kulturphilosoph Christian Köllerer: »Es wäre übrigens viel vernünftiger, vor multiresistenten Keimen Angst zu haben als vor Terroristen. Inzwischen 700.000 Tote pro Jahr.« Sehen Sie das als Mediziner auch so?
MARTIN EIKENBERG: Natürlich können Sie auch vor den großen Wohlstandsleiden wie Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen Angst haben, die kommen auch oft vor. Aber die Bedrohung durch die gefährlichen Erreger, die gegen gängige Antibiotika resistent sind, nimmt derzeit extrem zu.
Wer ist besonders gefährdet?
Wer auf der Intensivstation liegt, vielleicht eine Organtransplantation hinter sich hat, kann eine Lungenentzündung, Blutvergiftung oder Wundinfektion bekommen. Denn die Bakterien finden besonders leicht einen Weg in den Körper, wenn jemand am Tropf hängt, einen Katheter hat oder künstlich beatmet wird. Mittlerweile erkranken jedes Jahr zwischen 400.000 und 600.000 Menschen in Deutschlands Krankenhäusern an einer Infektion. Von den Erregern sind etwa fünf Prozent multiresistent und besonders schwer therapierbar. 15.000 Patienten sterben. Die Vereinten Nationen gehen weltweit von 700.000 Todesfällen pro Jahr aus.
Muss ich vor einer Blinddarm-OP Angst haben?
Angst nicht, aber auch da kann es zu einer postoperativen Wundinfektion kommen.
Wissenschaftler erklären, im Jahr 2050 könnten mehr Menschen an multiresistenten Keimen sterben als an Krebs. Die Weltgesundheitsorganisation warnt vor einem postantibiotischen Zeitalter. Was droht?
Die Fälle werden zunehmen, in denen bei Infektionen verschiedene Antibiotika versagen. Das ist auch heute nicht mehr ungewöhnlich. Ich kann mich an einige Fälle aus meiner eigenen Tätigkeit in der letzten Zeit erinnern, bei denen nur noch ein oder zwei Antibiotika wirksam waren und es zu schweren, teils sogar tödlichen Verläufen kam.
Der Mensch gewinnt gegen die Bakterien nicht?
Auch Bakterien entwickeln sich natürlich weiter und können so überleben. Unter ihnen gibt es immer welche, deren Erbgut sich verändert. Diese können dann gegen bestimmte Wirkstoffe unempfindlich sein. Also trotzen sie der Behandlung, vermehren sich, sodass ein neuer resistenter Stamm entsteht. Das heißt: Mit jeder Antibiotikagabe fördern wir Resistenzen. Das erleben wir seit dem Penicillin, dem ersten Antibiotikum, das entdeckt wurde. Im Idealfall gibt es dennoch ein wirksames Medikament, aber die Bakterien verändern sich fortwährend. Möglicherweise wirkt dann irgendwann kein Medikament mehr und wir können nicht davon ausgehen, dass ständig neue Antibiotika entwickelt werden können.
Die Pharmaindustrie weiß nicht weiter?
Die neueste Antibiotikaklasse, die Oxazolidinone kamen Ende der 1980er-Jahre auf den Markt. Die Forschung rechnet sich für die Industrie kaum. Bis ein neues Antibiotikum zugelassen wird, ist es ein sehr langer, auch teurer Weg. Am Ende nimmt der Patient das Medikament aber nur ein oder zwei Wochen, dann ist die Krankheit behandelt. Da ist es viel lukrativer, Medikamente zu entwickeln, die chronisch Kranke dauerhaft bekommen.
Was muss die nächste Gesundheitsministerin oder der nächste Gesundheitsminister tun?
Sie oder er müsste sich mit der Agrarlobby anlegen. Zwar hat 2015 der CDU-Gesundheitsminister Hermann Gröhe schon einen Zehnpunkteplan vorgelegt, um in der Humanmedizin Maßnahmen gegen multiresistente Erreger zu ergreifen und die Hygiene zu fördern. Das war alles richtig, wenn auch sehr allgemein. Ein wesentlicher Grund für die gefährlichen Antibiotikaresistenzen liegt aber nicht in der Hochleistungsmedizin für Menschen, sondern in den Tierställen. Die hiesigen Tierärzte verabreichen Hühnern, Schweinen oder Rindern ein Mehrfaches an Antibiotika als Ärzte ihren menschlichen Patienten. Der Bund muss mehr Geld in die Forschung auf diesem Gebiet stecken und dafür sorgen, dass die Abgabe stark reduziert wird.
Sie wollen von der Schuld der Humanmediziner ablenken?
Ich rede nicht von Schuld. In den Krankenhäusern haben wir in den letzten Jahren viel an der Hygiene gearbeitet und verbessert. Desinfektionsmittel und Mundschutz, Handschuhe und Schutzkittel gehören zum Alltag. Patienten, die multiresistente Erreger haben, werden in Einzelzimmern untergebracht. Das ist ein erheblicher Aufwand. Da gibt es auch praktische Probleme, etwa wenn ein Patient draußen eine Zigarette rauchen will. Und immer mal wieder passieren Fehler, aber im Allgemeinen ist das beherrschbar.
Es ist Routine, dass der Hausarzt Antibiotika verschreibt, wenn der Kopf weh tut, die Nase läuft und der Hals kratzt.
Eigentlich nicht. Natürlich stehen die Ärzte unter Druck, dass ein Patient zum anderen Kollegen geht, wenn man nicht das gewünschte Rezept ausstellt. Aber die meisten Patienten wissen, dass man einen viralen grippalen Infekt ausschwitzen und in Ruhe aussitzen muss. Die Hausärzte verschreiben in diesen Fällen heute viel weniger Antibiotika als früher.
Folgt man der Statistik, haben die Bauern auch darauf geachtet, Antibiotika nur noch dann einzusetzen, wenn es wirklich nötig ist. Von 2011 bis 2016 hat sich die Menge halbiert.
Die Bauern konnten die Menge mindern, weil die eingesetzten Mittel wirksamer sind. Zum Teil nutzen sie sogar sogenannte Reserveantibiotika, die eigentlich für den Menschen im Notfall vorgesehen sind. Die Zahl der Behandlungen ist so aber nicht gesunken. Noch immer kommt es vor, dass alle Tiere im Stall ein Antibiotikum bekommen, sobald nur eins krank ist. Das Problem sind dabei auch die Haltungsbedingungen. Tiere stehen häufig auf zu engem Raum, manchmal sogar im eigenen Kot. Das erleichtert das Entstehen von Krankheiten.
Der künftige Gesundheitsminister soll gegen Massentierhaltung sein?
Ja, wenn er die Bürger vor einer Zunahme von gefährlichen Resistenzgenen aus den Ställen schützen will. Ich wünsche mir darum einen Minister mit viel Durchsetzungskraft gegen die Lobby der industriellen Tierhaltung.
Wie kommen die Keime aus dem Stall zum Menschen?
Ein Großteil vor allem des Fleisches von Schwein und Geflügel aus den großen Mastbetrieben ist mit resistenten Keimen belastet. Verbraucher tauen das Fleisch in ihrer Küche auf. Einige Keime töten sie ab, wenn sie das Fleisch erhitzen. Doch es verbleiben lebende Keime zum Beispiel am Messer, mit dem sie das rohe Fleisch geschnitten haben oder an ihren Händen, mit denen sie das Wasser, das beim Auftauen entstanden ist, weggewischt haben. Irgendwann nehmen sie diese resistenten Keime auf.
Vegetarier sind besser geschützt?
Im Prinzip schon. Aber die Bakterien können auch über die Gülle vom Stall auf die Felder gelangen, sie landen dann in Badeseen, auch im Gemüse, das auf dem Feld wächst. Die Fleischproduktion hat Auswirkungen auf jeden, auch auf jene, die gar kein Fleisch essen. Das verursacht erhebliche Kosten, denn nicht nur die Umwelt wird belastet, sondern auch das solidarische Gesundheitssystem. Dafür sollten Fleischproduzenten und -konsumenten mit aufkommen. Wir brauchen zum Beispiel eine Steuer auf Fleisch aus industrieller Agrarproduktion.
Was kosten die Antibiotikaresistenzen Ihr Krankenhaus?
Bis zu achtzig Prozent der Landwirte, die in großen Schweinemastställen arbeiten, tragen einen MRSA-Keim, den multiresistenten Staphylococcus aureus, in sich. Bei Tierärzten ist das annähernd so hoch. Dazu kommen andere betroffene Patienten. Sie werden alle isoliert. Pfleger und Ärzte gehen nur in Schutzkleidungen zu ihnen. So zahlt die Allgemeinheit dafür, dass einige wenige in der Agrarbranche Profit machen. Am meisten trifft das natürlich die Patienten. Für sie ist das alles sehr belastend. Für das Krankenhaus entstehen derweil extra Personal-, Material- und Behandlungskosten.
In den USA werben Geflügelkonzerne mit »No antibiotics ever« auf Hühnerschenkeln. Die Fast-Food-Kette McDonald‘s will ihren Zulieferern spätestens bis zum Januar 2027 verbieten, Reserveantibiotika in der Hühnerzucht zu verwenden, später soll das auch für Rindfleisch gelten. Und Danish Crown, einer der größten Schlachtkonzerne weltweit, liefert in die USA auch schon Fleisch von Schweinen, die garantiert ohne Antibiotika aufgewachsen sind. Was bringt das?
Da wird versucht, einen neuen Markt zu schaffen und mit berechtigten Verbraucherinteressen das eigene Image zu verbessern.
Offenbar verkauft sich das gut.
Wenn sich die Regierungen mit Regeln schwer tun, ist das immerhin etwas. Das bringt schließlich ein paar Nachahmer. Rewe Dortmund bietet seit Kurzem zum Beispiel auch Fleisch aus antibiotikafreier Schweinemast an. Allerdings gilt das nur für die Mast, also für Schweine ab dreißig Kilo. Das sind immer noch zu viele Einschränkungen. Allein durch die Macht des Verbrauchers kommen wir nicht weiter. Wir brauchen Gesetze.
Auf der Homepage wir-sind-tierarzt.de heißt es aber bereits: »Menschen dürfen krank werden, Tiere nicht?« – Sie bekommen ein ethisches Problem?
Das ist doch nicht das Problem. Hühner verbringen in den abgeschotteten engen Mastanlagen 42 Tage, dann haben sie ihr Schlachtgewicht erreicht. Sie werden turbogemästet. Das macht sie anfällig. Das ist das Problem. Hätten Sie mehr Platz, mehr Zeit, eine andere Robustheit, bräuchten sie Antibiotika nur noch in Ausnahmefällen. Das passt aber nicht allen Tierärzten. Sie verdienen mit an den Antibiotika. In Deutschland sind sie – anders als etwa in Dänemark – Arzt und Apotheker zugleich.
Tierärzte verdienen an jedem von ihnen verschriebenen Antibiotikum?
Jedes eingesparte Medikament mindert ihren Gewinn. Und der Arzneiverkauf kann bis zur Hälfte des Verdienstes ausmachen. Dazu kommen Mengenrabatte. Je mehr Antibiotika der Tierarzt verschreibt, umso geringer wird der Einkaufspreis. Tierärzte sollten wie ich als Krankenhaushygieniker dafür bezahlt werden, im Sinne der Präventivmedizin Krankheiten und Infektionen zu vermeiden.
Was passiert, wenn die kommende Bundesregierung nicht eingreift?
Schon heute erzählen mir viele, dass sie jemanden kennen, der eine Infektion hatte mit Komplikationen. Künftig wird jeder Verwandte, Freunde oder Bekannte haben, die sterben, weil Antibiotika nicht mehr wirken.